Listig: Wer hat den Längsten? Die besten Longtracks mit einer Spielzeit über 10 Minuten (Platz 16 -20)

20.06.2023 | 10:43

Weiter im Text geht es mit der Schlacht um den besten Longtrack. Wie in der Einleitung zum ersten Teil geschrieben, haben wir uns redaktionsintern eine Liste mit den 25 Songs erstellt, die uns am besten gefallen. Hier nun der zweite Teil mit den Plätzen 16 bis 20. Viel Vergnügen!

Hinter der nächsten Platzierung (20) verbirgt sich dann ein Longtrack der ganz besonderen Art. Nicht nur, weil er mit einer Spielzeit von 17:40 Minuten selbst in unserer Kategorie als sehr lang zu bezeichnen ist, sondern auch, weil seine musikalische und gesangliche Umsetzung außergewöhnlich ist. Aber die Außergewöhnlichkeit beginnt schon mit seiner Veröffentlichung an sich. Welche Band versteckt so einen Monstersong auf der B-Seite (!) seiner ersten (!) Single? Da muss man schon mächtig vom eigenen Material überzeugt sein. Dass die Nummer später nicht mehr auf ein reguläres Album übernommen wurde, aber immer noch zu den Fan-Favoriten zählt, zeugt ebenfalls von ihrer Besonderheit. Worüber schreibe ich hier die ganze Zeit so riddelig? Nun, es geht – latürnich! – um 'Grendel' der britischen Prog-Väter MARILLION. Und bevor ich hier mir Halbwahrheiten glänze, übergebe ich das Wort an unsere Band-Experten Frank und Fränky. Zuerst der Jäger mit einer kurz zusammenfassenden Analyse: "Das frühe Werk der Art-Rock-Briten setzt das Monster aus dem Gedicht "Beowulf" als Protagonisten ein für eine Geschichte über Gut und Böse, vorgetragen voller Theatralik, mit effektiven emotionalen Wendungen." Fränky geht dann ans Eingemachte: "'Grendel' stammt von 1983 und hat es seinerzeit nicht auf ein offizielles Album, in diesem Falle das Debüt "Script For A Jester’s Tear", geschafft. Der über 17 Minuten lange Track, einst als Instrumentalversion gedacht, musste als B-Seite der Maxi-Single "Market Square Heroes" herhalten. Mit 'Grendel' lieferte MARILLION der Presse eine Vorlage, die Band mit GENESIS zu vergleichen und in der Tat klingt das Frühwerk der fünf Briten noch sehr nach purem Prog. Spätestens mit dem dritten Album "Misplaced Childhood" war MARILLION im Mainstream angekommen. Und auch wenn ich das dritte Album inklusive des Megahits 'Kayleigh' zu den musikalischen Highlights der achtziger Jahre zähle, so haben doch die etwas ungestümeren Kompositionen der Anfangszeit ihren ganz besonderen Charme, was nicht zuletzt an der Gesangsleistung von Sänger Derek W. Dick (Fish) liegt, der in Sachen Theatralik keinerlei Vergleiche mit den Szene-Größen zu scheuen braucht." Alles, was man zu dieser wunderbaren Musik wissen muss. Danke, Fränky! Da kann dann Timo allerdings noch als Trüffelschwein eine musikalische Besonderheit hervorheben: "Speziell das Keyboard-Gewaber ab Minute 9 samt dazugehöriger Textzeilen verursacht auch heute noch zentimeterdicke Gänsehaut bei mir." Merke: Pack' den Entenparka ein! Wohl an, denn, proggel on…

Endlich mal zwei aufeinander folgende Plätze, die musikalisch ein wenig zusammen passen. Gleiche Herkunft, ähnliche Wurzeln. Die Rede ist von den Briten namens MAGNUM. Komischerweise eine Band, bei der nicht alle Beteiligten einen Schnauzer tragen, aber darum geht es hier ja auch nicht. Der platzierte Song ist natürlich 'Don't Wake The Lion (Too Old To Die Young)' vom 88er Album "Wings Of Heaven". Dieses siebente Album von MAGNUM ist das erste, welches Top-10-Chartplatzierungen einheimsen konnte und welches in der Heimat sogar versilbert wird. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, wie lange die Band da bereits aktiv ist. Gehen wir aber mal auf den Song konkret ein und lassen Frank Jäger zu Wort kommen: "Die Briten sind für Bombast bekannt, aber nicht für ausufernde Epik, doch in diesem Song bringen sie die Gefühle der Welt am Vorabend des ersten Weltkriegs zum Ausdruck, die Erwartung einer jungen Generation, die als verlorene Generation in die Geschichte eingehen sollte, umgesetzt in kraftvollen Rock." Kraftvoller Rock? Das scheinen andere Kollegen etwas anders zu bewerten, denn Jhonny schreibt: "AOR im Langformat ist ja eher die Ausnahme, aber die Briten zeigen, dass es geht, ohne dass der Schnulzfaktor verloren geht." Im AOR-Lager habe ich die Band eigentlich nie gesehen, aber die Einordnung zeigt schon, wie hoch der Eingängigkeitsfaktor hier ist. Vielleicht sagt der andere Frank ja deshalb auch dies: "Nicht der beste Song von MAGNUM, aber ein zeitloses Stück und wegweisend für das weitere Schaffen dieser Gruppe." Sicherlich mag es bessere Songs der Band geben, aber Tobias bringt es auf den Punkt: "Kennt ihr diese Songs, die euch immer wieder eine Gänsehaut bereiten? Dieses beschwörerische Epos ist ein Song, der auf mich diese Wirkung hat. Getragen wird das Ganze von Bob Catleys einmaliger Stimme, die hier von einem Flüstern bis zum triumphalen Chorus jede Emotion abdeckt und einen bis ins Mark erschüttert." Genauso sieht es aus. Ein Song, der auch mich jedes Mal aufs Neue komplett abholt und mitnimmt. SO geht kurzweiliges Longtrackschreiben.

Für Platz 18 drehen wir uns full circle zurück zu MARILLION. Schon wieder? Jawoll! Dieses Mal allerdings mit einem Song, der gute 20 Jahre neuer ist als 'Grendel'. Die Rede ist von 'Neverland' vom 2004er-Werk "Marbles". Musikalisch agiert die Band natürlich deutlich anders als auf ihren Frühwerken und ist somit wahrscheinlich allgemein als "zugänglicher" zu bezeichnen. Allein die balsamierende Stimme von Steve Hogarth ist deutlich einfacher zu konsumieren als die exaltierte Ausdrucksweise von Fish. Ob man dies nun besser oder schlechter findet, wird jeder Zuhörer für sich selbst entscheiden und ist sicherlich auch abhängig davon, wann man die Band lieben gelernt hat und weshalb man sie so sehr schätzt. Fakt ist, dass es sich bei 'Neverland' um einen behutsam aufbauenden Song handelt, der den Genießer mit warmem Breitwandklang einlullt. Timo beschreibt es knackig folgendermaßen: "'Neverland' ist eine meisterhafte, mitreißende Abfahrt der "neuen" MARILLION, die nach wie vor viel zu wenig Beachtung finden." Leider ist vor allem der letzte Part seiner Aussage mehr als richtig, denn heutzutage ist eine einstmals umjubelte Band wie MARILLION nur noch einer Handvoll Genießern ein Begriff. Weshalb ist das so? Vielleicht, weil die Band nach wie vor unbeirrt ihren Weg geht und Musik schreibt, die fordert, in die man Zeit investieren muss. Ein mutiges Unterfangen in Zeiten der Schnelllebigkeit. Wie tiefsinnig die Band noch immer unterwegs ist, kommentiert Frank Jäger treffsicher: "Ein echtes Liebeslied, das die Kraft der Liebe beschreibt, die dir Antrieb gibt und dich aufrecht hält, fängt, wenn du dennoch fällst, und dafür sorgt, dass der letzte Satz immer sein wird: Ja, das war es wert." Wer hier noch immer keine Lust verspürt sich mit der Band näher beschäftigen, dem kann von unserer Seite aus wohl auch nicht mehr geholfen werden. Auch nicht mit dem zusammenfassenden Kommentar von Peter: "Formidabler Abschluss eines großartigen Albums." Von daher: erstmal ausgeproggelt.

Wobei es ja nicht wenige Stimmen gibt, die behaupten, dass auch der nächste Song unter die Kategorie "progressive Musik" fällt. Nun ja, das ist alles eine Frage der Perspektive und im eigentlichen Wortsinn kann man das tatsächlich auch durchwinken. Welche andere Metal-Band hat im Jahr 1984 einen knapp zwanzig Minuten langen Song aufgenommen, in welchem der Kampf zwischen Gut und Böse in rumpelig untermalter Grobschlächtigkeit vorgetragen wird? Sehen Sie, progressiv im Wortsinn, ohne verschobene Primzahl-Takte – zumindest keine gewollten – und ohne unendliche Instrumentalpassagen. Hier wird einfach primitiv vor sich hin gerumpelt. Ist das jetzt schlecht? Nicht, wenn man VENOM heißt und rumpeln als Musikstil kultiviert hat. Für mich persönlich war die große Begeisterung für das britische Trio nach "Black Metal" bereits verflogen, aber insgesamt muss man 'At War With Satan' noch als Großtat anerkennen. Dies erkennt unser Rumpel-Minister Rüdiger natürlich auch an: "Wenn Rumpelkommandos sich an Epen wagen, kann Beeindruckendes entstehen!" Wahre Worte, Herr Minister! Und dass man nicht als Zeitzeuge dabei gewesen sein muss, beweisen die warmen Worte von Kenni, der folgendes schreibt: "Epischer geht es an der Schnittstelle von Heavy Metal, frühem Black Metal und einer thrashigen Note nicht." Wobei ich bei "thrashiger Note" schon schmunzeln muss, denn noch thrashiger geht es ja eigentlich kaum. Aber Kenneth hat natürlich völlig Recht, wenn er hier die Vorreiter-Rolle der Band auch noch einmal in den Fokus stellt. Wenn dann auch noch unser frisch gebackener Chef seine Hände an die Tasten legt und feurig-warme Worte formuliert, ist die Hölle wohl doch noch nicht zugefroren. "Irgendwo zwischen Himmel und Hölle begeistern Cronos und Co. auf ganzer Linie oder besser gesagt: auf der kompletten Seite A. Selten war die Begegnung Belzebubs spannender." Da hat wohl jemand mannigfache Erfahrungswerte zum Vergleich. Müssen wir uns Sorgen machen, Marcel? Sicherlich hat keiner von uns das Album bei HMV gekauft, denn die Kette nahm die Scheibe wegen ihres "antichristlichen Inhaltes" damals aus ihrem Sortiment. Was hat es der Kette geholfen? Aha.

Für Platz 16 geht es zurück zum "herkömmlichen" Prog. Dieses Mal zu einem Genre-Klassiker. Lassen wir Frank Jäger gleich zur Einleitung mal mit der Tür ins Haus fallen. "Das letzte Stück auf dem zweiten Album bildet die Essenz des revitalisierten Prog-Metal-Genres nach DT-Art und fasst alle Stärken zusammen, wofür man verständlicherweise einen Longtrack benötigt." Jetzt dürfte jedem Leser klar sein, von welchem Song hier die Rede ist. Nicht? Es ist natürlich 'Learning To Live' von DREAM THEATER. Hierbei handelt es sich um das erste Stück der Band mit einer zweistelligen Laufzeit. Wie wir alle wissen, sollten danach noch etliche Nummern dieser Art folgen. Eingeleitet vom schönen Intro 'Wait For Sleep' ist dies auch für den Schreiber dieser Zeilen der beste Longtrack aus der Diskographie der Band und an manchen Tagen sogar sein Lieblingssong der Band. Auf jeden Fall mit diesem Sänger. Aber wir schweifen ab. Textlich soll es sich um das im Jahr 1992 hoch brisante Thema AIDS drehen. Musikalisch zeigt die Band hier ihr ganzes kompositorisches Können. Leichtfüßig bewegt man sich durch etliche Taktwechsel und es gelingt dem Quintett dabei zu jeder Sekunde den Zuhörer nicht zu überfordern. Das belegt die Tatsache, dass das Album "Images And Words", von welchem diese Nummer stammt, in den USA auf Platz 61, in Japan auf Rang 30 und bei uns immerhin auf Platz 94 der jeweiligen Charts landen konnte. Schlussendlich reichte es für eine Goldauszeichnung im Heimatland. Nicht schlecht für solche Musik. Walter kann das natürlich nachvollziehen, schreibt er doch: ""Images And Words" enthält ausnahmslos Edelmetall. Das Finale zählt aber nicht zuletzt auf Grund des ergreifenden Textes zu den absoluten Höhepunkten." Und auch Thomas Becker meldet sich lobend zu Wort: "Ein herausragender Prog-Epos vom besten DREAM THEATER-Album überhaupt." Wenn dann auch noch ein Nicht-Fan mit warmen Worten um die Ecke kommt, scheint die Begeisterung keine Grenzen zu kennen. Hören wir Fränky: "Bin kein ausgewiesener Fan der Band, aber "Images And Words" ist voll mit Klassikern." Muss man wohl kennen.

 

Überblick aller Artikel dieser Listig-Reihe:

Platz 1-5, Platz 6-10, Platz 11-15, Platz 16-20, Platz 21-25

 

Redakteur:
Holger Andrae

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