Perlen der Redaktion: Timo Reisers Highlights 2021
18.01.2022 | 21:57Meine persönlichen musikalischen Höhepunkte im Jahr 2021 oder "Nö sleep 'til Pösthalle!"
Das Jahr 2021 war in vielfacher Hinsicht nahezu genauso verrückt, unberechenbar und frustrierend wie 2020. So war von Beginn an ein ständiges Wechseln von Hygiene- und Organisationsstrukturen und ein aufzubietendes Höchstmaß an Flexibilität in Bezug auf Arbeitsweisen und Kreativität in der Durchführung von Unterricht in der Schule zu erwarten. Es kam leider auch so.
Im privaten sowie im Freizeitbereich ließen wesentliche Lockerungen größtenteils bis in den Frühsommer hinein auf sich warten, wie alle am eigenen Leib erfahren haben dürften. Eifrig beschäftigt und somit bei Laune hielt mich die "Beschaffungs-" und Hörarbeit für diverse Diskographie-Checks von Powermetal.de, an denen ich mich begeistert beteiligte. Neben den Komplettierungen von Back-Katalogen zur Erstellung der Listen wuchs vor allem meine Plattensammlung wieder beträchtlich, wie der stets die wunderbaren Vinyl-Errungenschaften heranschleppende DPD-Paketbote am eigenen geschundenen Leib erfahren musste. Die Lektüre des monatlichen Soundchecks von Powermetal.de trug daran eine nicht unwesentliche Mitschuld.
Die ganz persönlichen Höhepunkte des Jahres abseits der Musik waren für mich sicherlich ein Kurztrip nach Österreich sowie der Sommerurlaub an der Atlantikküste in Frankreich. Yessss, das hat wirklich geklappt, wir konnten es kaum glauben! Inzwischen sind meine Frau und ich Vollprofis darin, jeder Sicherheitsfrau oder jedem Sicherheitsmann, die oder der das wünscht, in Sekundenschnelle mit vor Stolz geschwollener Brust und überlegenem Lächeln auf den Lippen alle notwendigen Handy-Apps nebst zusätzlich verlangten Papierausdrucken, Impfbüchern, Lebensberechtigungsscheinen et cetera unter die Nase zu halten! Ein Schelm, wer da an "Waynes World" denken muss.
Aus meiner Sicht nicht zu erwarten war, dass man am 6. Januar 2021 plötzlich in allen Fernseh-Nachrichten einen der bekanntesten, schon fast ikonischen Bandleader der letzten 25 Jahre mit vor Wut verzerrtem Gesicht innerhalb eines gewalttätigen Mobs im gestürmten US-Capitol die Faust recken sah. Redneck hin oder her, aber das hat mich dann doch sehr negativ überrascht. Und so kommt Jon Schaffer zu der höchst seltenen Ehre, eine von mir ganz persönlich verliehene "Depp des Jahres"-Auszeichnung zu erhalten, abzuholen bei meinem jährlichen, im Frühsommer stattfindenden Metal-Schuppenfest. Ich hebe die Urkunde auch gerne auf, bis der Herr wieder reisen darf.
Jetzt komme ich endlich zu für euch hoffentlich Erfreulicherem in Gestalt der Liste meiner 20 liebsten Alben, meiner Perlen des Jahres 2021. Vorausschicken möchte ich die Namen der Alben von 20 Bands, die es fast in meine Top 20 geschafft hätten. Neben Qualität und Gefallen hängt ein Einstieg immer auch damit zusammen, ob überhaupt und in welcher Frequenz, trotz chronischer Überversorgung mit "Ohrenfutter", der Drang bei mir aufkommt, das jeweilige Album unbedingt hören zu wollen, und wie oft die neue Musik einer Band es dann tatsächlich im Alltag, zum Beispiel zusätzlich zu irgendwelchen "Hörarbeiten" für Powermetal.de in ein Abspielmaschinchen schafft. Zu jeweils einigen Durchläufen, aber nur knapp nicht in die Liste reichte es 2021 demnach für:
- TRIBULATION - Where The Gloom Becomes Sound
- BURNING WITCHES - The Witch Of The North
- DEE SNIDER - Leave A Scar
- CIRITH UNGOL - Half Past Human
- CANNIBAL CORPSE - Violence Unimagined
- DARKTHRONE - Eternal Hails
- AT THE GATES - The Nightmare Of Being
- GOJIRA - Fortitude
- THE OFFSPRING - Let The Bad Times Roll
- FEAR FACTORY - Aggression Continuum
- POWERWOLF - Call Of The Wild
- DESASTER - Churches Without Saints
- MSG - Immortal
- CRADLE OF FILTH - Existence Is Futile
- MONSTER MAGNET - A Better Dystopia
- CHILDREN OF TECHNOLOGY - Written Destiny
- MEMORIAM - To The End
- STÄLKER - Black Majik Terror
- THE CROWN - Royal Destroyer
- EVERGREY - Escape Of The Phoenix
One, two, three, four…
Achjeh, beim Einzählen meiner Liste 2021 fällt mir noch ein unbedingt notwendiger Nachtrag zu meinen Perlen des Jahres 2020 ein: Ende April 2021 befand ich mich an einem schönen sonnigen Samstag in meinem Schuppen und diskutierte via WhatsApp mit meinem Kumpel Götz (nicht Kühnemund) über Musik im allgemeinen, Punkrock im Spezielleren und auch das neue Album der BROILERS. Um von dieser ihm sehr unangenehmen Band abzulenken, empfahl er mir eines seiner liebsten Alben des Jahres 2020. Dieses stammt verblüffender Weise von der fünfköpfigen, nach drei dazugehörigen Brüdern benannten Indierock-Band MADSEN aus Niedersachsen und hört auf einen Titel, der alleine schon Punk as fuck ist: "Na gut dann nicht". Nach dem in seiner tiefschürfenden Frustration noch nie dagewesenen Frühjahr 2020 hatte sich bei den Bandmitgliedern wohl einiges angestaut, und man beschloss, zu seinen Wurzeln zurückzukehren, indem man ein Punk-Album aufnahm. Also gut, da Götz mir das Scheibchen bereits im Herbst davor irgendwann empfohlen hatte, streamte ich mir das Teil dann halt endlich mal… 13 Songs, 35 Minuten und 38 Sekunden später stand ich fassungslos im Schuppen. Schweiß stand auf meiner Stirn, ich spürte Röte in den Wangen, der Atem ging flach und schnell. Wo verdammt war das Bier? Das, was ich da gerade gehört hatte, war definitiv eines der besten deutschen Punkrock-Alben, die jemals an meine Ohren drangen, eventuell sogar das Beste, in jüngerer Zeit definitiv! MADSEN klatscht den Hörer mit jedem einzelnen Song textlich, energiemäßig und für Punk auch musikalisch sowie ideenmäßig von links nach rechts, von oben nach unten und kickt ihn dann die Kellertreppe runter und dieselbe wieder rauf! Stilistisch orientiert man sich an diversen Unterarten des Punkrock, bleibt aber immer melodieverhaftet und nachvollziehbar im Krach- und Brüllpotential, das bei einigen Songs mit Hardcore-Schlagseite auch mal aufgefahren wird. Dabei beweist man durch augenzwinkernde, gesprochene Einleitungen und einen tollen, Freudentränen auslösenden musikalischen Querverweis an die GOLDENEN ZITRONEN viel Selbstironie, aber auch Gespür für die Subkultur Punk. Die Texte sind zu großem Teil von der Corona-Situation inspiriert, man merkt deutlich, dass alle Inhalte authentisch sind und genau so gemeint und gefühlt werden. Alleine die ersten vier Lieder 'Na gut dann nicht', 'Herzstillstand', 'Quarantäne für immer' und 'Auf deinem Balkon' lassen quasi schon beim Hören die Haare bunt werden, man verspürt automatisch ungemeinen Bierdurst und das Bedürfnis sich mit anderen im Kreis herumzuschubsen. Eigentlich geht das Album aber für die nächsten 9 Songs genauso geil weiter! Besonders spaßig sind auch die in der Tube anzufindenden netten Videos zu vielen der Songs. An jenem Nachmittag lief das Teil noch mindestens vier- bis fünfmal und landete die nachfolgende Woche und das ganze Jahr hindurch immer mal wieder in meinen Abspielgeräten. Fazit: Hätte ich "Na gut dann nicht" von MADSEN vor dem Jahreswechsel 20/21 entdeckt, wäre die Scheibe in meinen "Perlen 2020" auf Platz 2 gelandet! (10 Punkte)
In logischer Konsequenz kommt meine Album-Enttäuschung des Jahres 2021 mit "Dunkel" von DIE ÄRZTE, die erneut nur ein lediglich "gutes" Werk produzieren konnten.
Jetzt aber: Eins, zwei, drei, vier…
Gerade noch in meine Perlen-Liste 2021 gehechtet hat sich auf Platz 20 MOTORJESUS mit "Hellbreaker". Dieses herrliche In your face–Straßenrock-Album macht gewaltig Laune und bestätigte meinen guten Eindruck, den ich 2018 bei der Dynamite Night in Crailsheim hatte: toller High Energy Rock, gut gespielt mit guten Melodien und Hooklines.
Die Spanier ANGELUS APATRIDA thrashen auf Platz 19 munter vor sich hin, irgendwo angesiedelt zwischen pfeilschnellem Oldschool-Geprügel und moderner, groovigerer Soundvariante. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass mir die Scheibe einfach nicht langweilig wird, sei es als Hintergrundmusik oder beim bewussten Anhören.
Platz 18: Wirklich guter Indie-Rock ist etwas sehr, sehr Feines! Zu dieser Kategorie zählt ohne Zweifel der Debüt-Longplayer "Stress" der drei Damen 24/7 DIVA HEAVEN aus Berlin. Dieses Album fand zu Recht 2021 einige Anerkennung und kann in meiner Betrachtung qualitativ gut an kommerziell durch die Decke gegangene Indie-Großtaten der Neunziger Jahre anknüpfen.
Der nächste Platz gehört der Band, die im Rückblick mein bestes besuchtes Konzert des Jahres 2018 gespielt hat: BLACK LABEL SOCIETY veröffentlichte im Herbst mit "Doom Crew Inc" das elfte Studioalbum, das seinem Titel tatsächlich ein wenig gerecht wird: Satter, kraftvoller und ein wenig träger in einem guten Sinne grooven die hard- und bluesrockenden Lieder in fabelhaft fettem Sound aus den Boxen, wenn auch nicht mehr ganz so eingängig wie auf dem letzten Album. Aber jenes war ja schließlich "Grimmest Hits" benannt! Und Zakk Wylde spielt übrigens nicht nur grandios Gitarre, er scheint zudem immer besser zu singen!
Am letzten, schon ewig zurückliegenden Album von CARCASS hatte ich einen Narren gefressen! Ganz so tief wie mit "Surgical Steel" beißen sich die Briten diesmal allerdings nicht in meinen Gehörgängen fest. Für die Laufnummer 16 reicht die Begeisterung, die von den ehemaligen Grindcore-Spezialisten mit ihrem extremen Death-Thrash auf "Torn Arteries" bei mir ausgelöst wird, jedoch noch bequem. Dazu kommt ein irrsinnig tolles Gemüse-Artwork, das haarscharf an der Ehre vorbeizog, mein Cover des Jahres zu werden. Dazu gibt es in wenigen Zeilen gleich noch mehr zu vermelden.
Ich werde nie vergessen, wie ich Milan Loncaric von BRAINSTORM beim FFDP/MEGADETH-Konzert im Februar 2020 im Treppenhaus der Slayerhalle erspähte und ihn für "Midnight Ghost" loben wollte. Dabei kam mir nichts Geistreicheres zur Begrüßung über die Lippen, als "Ah, der Herr von STORMWITCH!" Auch das neue Album von BRAINSTORM auf meinem Platz 15 verdient tüchtig Lob, ist es doch mindestens genauso wuchtig, modern powermetallisch, melodieverliebt und mit richtig guten Songs gespickt, wie der Vorgänger. Nur die etwas überambitionierte Produktion sollte für mein Empfinden beim Nachfolger von Wall of Chorus, äh, "Wall Of Skulls" wieder ein bisschen zurückgefahren werden. An dieser Stelle gibt es, wie bereits kurz angedeutet, noch zusätzlich etwas sehr Erfreuliches zu vermelden: Die Scheibe wird von meinem Cover des Jahres geziert, gemalt von Gyula Havancsak! Ein schöneres, wirkungsvolleres Oldschool-Metalgemälde gab es letztes Jahr für mich auf einem Plattencover nicht zu bestaunen.
Ich bin in keinster Weise ROB ZOMBIE–Spezialist, hatte mir aber schon ewig vorgenommen, mich irgendwann einmal hörtechnisch an dessen Schaffen heranzutasten, taucht der Herr mit seiner Band doch ab und an auf den Billings größerer Festivals auf. Und zu meiner Überraschung landete der daher angeschaffte neueste, äußerlich quietschbunt gestaltete musikalische Output letztes Jahr doch relativ häufig auf dem Plattenteller und somit auf Platz 14. Beim Zugang zum ebenfalls äußerst farbenfrohen Stilmix des Industrial-Country-Groove Metal-New Wave-Poprocks half mir meine Affinität zu MINISTRY und PRONG nicht unerheblich, muss ich gestehen. Der Titel ist die ultimative Herausforderung für Mnemotechnik-Spezialisten: "The Lunar Injection Kool Aid Eclipse Conspiracy".
Heißa! Die Spaßbrocken MEGA COLOSSUS aus North Carolina sind wieder da, diesmal auf Platz 13. Auf "Riptime" gibt's flotten, detailverliebten und grandios leidenschaftlich gespielten und gesungenen, oldschooligen Heavy Metal der jüngeren Machart vor den Latz, dass es eine wahre Freude ist! Entdeckt beim HARDER THAN STEEL-Festival 2017, liebe ich die Jungs endgültig seit dem legendären Abriss in der Olchinger Legends Lounge im Frühjahr 2019, bei dem unser Betriebs-Geistlicher auch zugegen war. Geile Band, geiles Album! Und weil ich es so herrlich gut geschrieben und unzweifelhaft passend fand, kürte ich das Review zu dieser Scheibe von Kollege Holger Andrae zu meinem Powermetal.de-Artikel des Jahres 2021!
Mein Sommeralbum hat sich auf Platz 12 gethrasht. Dazu fällt mir an dieser Stelle auch gar nicht mehr ein, außer dass ich momentan beim Hören von "Burning In Exile" der Bay-Area-Thrasher INFEX schon wieder am liebsten einen ordentlichen Circle-Pit- Riot anzetteln würde! Nicht dass ich sowas auf einem Festival mitmachen, geschweige denn überleben würde, aber vielleicht stürme ich ja gleich mit den Kopfhörern auf der Rübe übermütig ins Wohnzimmer der Nachbarn und mische die auf? Nein, ganz entschieden lieber nicht! Ihr lest jetzt aber noch mein Review, dafür isses ja schließlich da.
Knapp die höheren Weihen meiner Top 10 verpasst haben die aus namensrechtlichen Gründen in UNTO OTHERS umbenannten ehemaligen IDLE HANDS. Auf "Strength" perfektioniert die Band um Sänger Gabriel Franco und Gitarrist Sebastian Silva ihren derzeit äußerst originellen, mit 80er Rock- und SISTERS OF MERCY-Anleihen getränkten, melancholischen Heavy Metal. Obendrauf garniert ein winziges Schüsschen Black Metal den eigenwilligen Stil. Ein tolles Album mit sehr hohem Wieder-Hörwert, eines zum öfter mal auflegen und genießen! Ich wünsche mir und den Musikern von UNTO OTHERS, dass diese Band den ihr vielerorts zugesprochenen "15 Minutes Fame"-Titel "Das nächste große Ding" auch in die Wirklichkeit umsetzen kann.
Mein Lieblings-Udo hat es geschafft: Platz 10! Leider ohne Fitty und Stefan Kaufmann, aber gottlob weiterhin mit Sohnemann Sven am Schlagzeug und Gitarrenglanz von Andrey Smirnov, versorgt uns Udo Dirkschneider noch ein weiteres Mal mit einem wunderbar schmissigen U.D.O.-Album, das auf den für alte Anhänger der Band schon fast schmerzhaft provokanten Titel "Game Over" hört. Das Spiel ist dabei im übertragenen Sinne qualitativ keinesfalls vorbei, bietet die Scheibe doch alle Trademarks, die Fans der Band lieben, geradezu tonnenweise auf: So sind Tracks wie der herrlich melodiös ins Ohr gehende Opener 'Fear Detector', das hymnische 'Prophecy' oder das originell startende 'I See Red', um nur drei der 16 Lieder zu nennen, genau die Nahrung, mit der Die Hard U.D.O.–Fans großgezogen werden.
Platz 9. wird bereits von der Legendenaura IRON MAIDENs umstrahlt. Diese recht frühe Platzierung von "Senjutsu" weist nicht zuletzt daraufhin, was für ein denkwürdig starkes Jahr in Sachen Neuveröffentlichungen 2021 für mich gewesen ist. Hierzu möchte ich nichts Neues mehr schreiben, außer vielleicht, dass wir alle in unserer ersten Begeisterung und unter Einfluss des mit der Album-Veröffentlichung zeitgleich einschießenden typischen Maiden-Adrenalins eventuell jeweils mindestens einen halben Punkt zu hoch lagen. Diese Empfindung habe ich nun etwa vier Monate und einige Spins später, nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat.
Mit dem Album "Santa Muerte Live Tapes" entdeckte ich 2013 die BROILERS, die damit zunächst eine riesige Begeisterung bei mir weckten. Leider verspielten es die Düsseldorferin und die Düsseldorfer um ihren Frontmann Sammy Amaretto, äh, Amara, die mittlerweile auch schon Gin verticken (Wann trägt die Band endlich Makeup?), mit ihren nächsten Alben und immer stereotypischer verlaufenden Konzerten wieder etwas auf der linken Seite meiner Brust… Bis zur Veröffentlichung von "Puro Amor": Hier stimmt wieder alles, die Lieder packen mich sowohl textlich wie atmosphärisch, ein großartiger Song folgt auf den anderen! Hört euch beispielsweise 'Gib das Schiff nicht auf', 'Diktatur der Lerchen' und 'Alice und Sarah' an! Natürlich darf man mittlerweile keine Berührungsängste mit radiotauglicher Poprock-Musik haben, wenn man neuere Erzeugnisse der BROILERS goutiert. Dennoch transportieren viele der Lieder immer noch eine tolle Energie, die das alte Ska-, Oi- und Punkrockfeuer ab und an mal tüchtig auflodern lässt! Dabei haben die BROILERS mit Platz 8 bei mir viel Glück gehabt: Das unsagbar schreckliche Weihnachtsalbum hat mich so erzürnt, dass ich kurz überlegt hatte, die Kapelle ganz aus meiner Liste zu schmeißen. Das wäre aufgrund der Qualität und der vielen Durchläufe von "Puro Amor" bei mir jedoch unangemessen und unfair gewesen. Es bleibt also ein klein wenig schwierig zwischen mir und den BROILERS.
Nun, liebe Leserschaft, folgt die größte Überraschung in meinen Top 10, ja in meiner ganzen Liste! Platz 7 geht aufgrund zahlloser Durchläufe über die Review-Arbeit hinaus an die Electropunkerinnen THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM. Mädels, ihr habt euch mit "Gefühle" nachhaltig in mein altes NDW-Herz gespielt! An dieser Stelle sei einmal das tierschützerische Engagement der Bandleaderin Lulu für kranke und gequälte Berliner Stadttauben hervorgehoben! Diese und weitere Aktivitäten der Band können auf Social-Media verfolgt werden.
Seit Mitte der 90er Jahre fasziniert mich Rockmusik aus Frankreich. Ich hatte irgendwann entdeckt, dass 'Antisocial' von ANTHRAX nur eine Cover-Version war, und oben erwähnter MADSEN-Götz brachte mir auf meinen losen Auftrag hin tatsächlich das Album "Repression" von TRUST in der Originalversion von einer Paris-Reise mit, das aus dem Stand zu einem meiner meistgehörten Alben wurde. Ohne wirklich gut französisch zu sprechen oder zu verstehen, mag ich seither einfach Klang, Flow und Ausdruckskraft der französischen Sprache, vor allem musikalisch dargeboten. Und so vermengt sich in meinen Ohren atmosphärischer, authentisch gespielter und packender Heavy Metal im Stil der frühen 80er Jahre mit französischen Texten, die dazu noch sehr gut gesungen werden, zu einer unter die Haut gehenden musikalischen Mixtur, der fanatische Gemüter unter Umständen ein wenig Göttlichkeit nachsagen würden. Vielleicht aus diesem Grund nannte die französische Band TENTATION ihr Debüt-Album "Le Berceau Des Dieux", die Wiege der Götter! Eingestiegen auf Platz 6 und somit mein Newcomer des Jahres.
Progressive Metal zum Ersten: WITHERFALL aus Los Angeles konnte mit dem dritten Album meine Top 5 knacken. Rückblickend ist das fast verwunderlich, empfand ich den Auftritt der Band beim "Keep It True"-Festival 2019 als etwas steril und im damaligen Moment musikalisch zu technisch für meinen Geschmack. Doch genau diese Merkmale empfinde ich beim Hören von "Curse Of Autumn" gänzlich anders. Der spielerisch-technische Aspekt liegt weiterhin auf komplexem Progressive Metal einer sehr hohen Niveaustufe. Jedoch gelingt es der Band, und das empfinde ich bei dieser Art von Metal als Besonderheit, den Hörer an vielen Stellen emotional abzuholen und mit der erzeugten musikalischen, düster-melodischen Atmosphäre im Wechsel zu verzaubern und mitzureißen. Dies trifft auf nahezu alle Lieder zu, als mögliche Hörbeispiele nenne ich hier einmal 'Tempest' und 'The River'. Der Progressive-Metal-Superhit dieses Albums ist für mich aber ohne jede Frage 'As I Lie Awake', den ich daher zu meinem Song des Jahres auserkor. Dieses Über-Lied beißt sich mit seiner vertrackten Gitarrenhärte und der schier unglaublichen, metallisch geschultes Gehör völlig vereinnahmenden Melodie unnachgiebig im Musikgedächtnis fest.
Progressive Metal zum Zweiten: Willkommen auf Platz 4, meine Herren Petrucci, Myung, LaBrie, Rudess und Mangini! Auch für New Yorks Prog-Götter gelten aus meinem persönlichen musikalischen Blickwinkel als Ursache für diese hohe Platzierung zunächst tolle Melodien in toll komponierten Songs. Aber zusätzlich gibt es auf "A View From The Top Of The World" eben auch, zuletzt auf Werken der Großmeister eher vernachlässigt, unter die Haut gehende Emotionen sowie selten in dieser Art bei DREAM THEATER dagewesene Catchyness und Atmosphäre in fast allen Songs des Albums! Ich kann jedem Lied etwas abgewinnen und die Scheibe immer noch am Stück hören, mein absoluter Lieblingssong darauf bleibt jedoch 'Answering The Call'.
Die Spannung steigt! Platz 3 hat sich einer der unkaputtbarsten, großartigsten, einzigartigsten und sympathischsten Rockstars der letzten 50 Jahre, ach Quatsch, aller Zeiten, gesichert! Der leidenschaftliche Golfer ALICE COOPER hatte das Grün zwischenzeitlich zur Freude seiner Fans verlassen, um mit seinem Entdecker und alten Freund Bob Ezrin auf dem Produzentensessel ein weiteres Album aufzunehmen. Dabei gaben sich diverse, unter anderem recht namhafte Musiker wie Joe Bonamassa die Klinke in die Hand und halfen dem Erfinder des Schockrocks, noch einmal richtig abzuliefern. "Detroit Stories" unterhält als loses Konzeptalbum mit Liedern über Detroit, die Heimatstadt von ALICE COOPER, mit seinen 15 Songs 50 Minuten lang von vorne bis hinten prächtig abwechslungsreich, überwiegend mit groovendem, mal melodiösem, mal treibendem Oldschool-Gitarrenrock der allerfeinsten Güteklasse! Dieses Album ist definitiv ALICE COOPER at his best und wird für meine Begriffe jetzt schon unterbewertet! Zu groß und mit zu vielen herausragenden Alben und Songs gespickt ist der Backkatalog des Meisters in der Wahrnehmung der musikinteressierten Öffentlichkeit, um diesem oberflächlich betrachtet zum Alterswerk gehörenden Album mehr als Höflichkeitsbeachtung und im Normalbereich liegende mediale Aufmerksamkeit zu schenken. Anspieltipps sind fast überflüssig, hört euch die ersten fünf Songs an, dann ist es sowieso um euch geschehen und ihr kauft den kompletten Download oder gar einen Tonträger! Hervorheben möchte ich dennoch 'Hanging On By A Thread - Don't Give Up'. Mit diesem sehr emotionalen, schönen Stück macht der als Vincent Damon Furnier geborene ALICE COOPER auf eine Telefon-Hotline zur Prävention von Selbstmord aufmerksam.
Die zweitgrößte Überraschung in meinen "Perlen" findet sich zweifellos auf Platz 2. NECRONOMICONs "The Final Chapter" habe ich im Frühjahr und über das Jahr betrachtet wahrscheinlich sogar öfter gehört als die noch zu nennende Nummer 1. Die mir, Schande über mich, zuvor unbekannte süddeutsche Thrashband, ursprünglich beheimatet in Südbaden, spielt Oldschool-Thrash der melodiösesten Sorte. Das einzig verbliebene Gründungsmitglied ist Volker "Freddy" Fredrich. Und dieser hat gemeinsam mit seiner teils international zusammengesetzten Truppe ein dermaßen perfektes Melodic-Thrash-Album, so nenne ich das hier jetzt mal, veröffentlicht, dass ich mich im März für etwa drei Wochen lang nicht davon lösen konnte. Es lief nichts anderes mehr bei mir! Derart hochgradiges Suchtpotential übt diese Art von Metal-Musik, wie ein Bekannter immer so nett sagt, auf mich aus aufgrund der herrlich rauen, das Barthaar zurechtfräsenden melodiösen Gitarrenriffs, die vom Schlagzeug gnadenlos nach vorne getrieben und mit zwingenden und dazu noch ausdrucksstark gesungenen Melodien veredelt werden. Hier ist jeder Song ein Hit! Dem hypnotisch-zupackenden Sog von Liedern wie 'I Am The Violence', 'Purgatory', 'Burning The Fury' oder 'World Of Fire', um nur vier von zwölf Songs zu nennen, kann man sich beim besten Willen nicht entziehen, wenn man ein Herz für traditionellen Thrash- und Heavy Metal hat. Als wahrhaftiges Schmankerl ist die "verthrashte" Coverversion des ANNE CLARK-Songs 'The Devil's Tears' vertreten. So was hört man gewiss nicht alle Tage, was für eine Kombination! Insgesamt ein wirklich herausragendes Album von NECRONOMICON, das meine Nummer Eins geworden wäre…
…hätte nicht Michael Weikath vor ein paar Jahren den schwarzen Hut und die dunkle Sonnenbrille aufgesetzt, einen uns allen bekannten, rothaarigen, zwerghaften Gitarristen angerufen und mit kaputtgerauchter Stimme und Hamburger Akzent ins Telefon geraunzt: "Du Kai, wir holen die Band wieder zusammen. Bring den Glatzkopf auch mit. Wir lassen es krachen! Zuerst ein Büschen touren, dann machen wir n Album." Selbstverständlich hatte Kai Hansen bei Entgegennahme dieses schicksalhaften Telefongesprächs ebenfalls einen schwarzen Hut und eine dunkle Sonnenbrille auf dem Kopf, beziehungsweise auf der Nase… Aber Spaß und kindische Fan-Fantasien beiseite: Mein Platz Eins gehört, und das kann auf das letzte Jahr bezogen überhaupt gar nicht anders sein, dem unglaublichen, selbstbetitelten Album von HELLOWEEN. Die dazu erschienene Vinyl-Box ist für mich zudem die schönste und wertigste, die 2021 von einem Label zusammengestellt wurde.
Abschließen möchte ich mit meinen Konzerten des Jahres. "Wie meint er das?", denkt ihr vielleicht jetzt. Nun gut, das eine oder andere Konzert hat abseits des erhöhten Aufkommens an Streaming-Veranstaltungen unter verschiedensten Bedingungen, vor allem im Sommer und Herbst, ja tatsächlich stattgefunden. So besuchte ich Ende Juli im Bopfinger Stadtgarten einen mächtig Bock auf mehr machenden Gig der Mannheimer AC/DC-Tribute-Band AC/ID. Sitzen, Bierbänke, aber dennoch war es ein Fest! Der absolute Höhepunkt des "Konzertjahres" war dann das von Oliver Weinsheimer und seinem Team in Rekordzeit auf die Beine gestellte "KIT Rising"-Festival am 19. und 20. November in der Würzburger Posthalle. Letztendlich wurden die im Vorfeld sukzessive immer weiter angepassten Hygienemaßnahmen zu 2G+. Das bedeutete zwar, sich täglich mit Nachweis testen zu lassen, aber dafür wie von Beginn der Planung an beabsichtigt, weiterhin in der Halle und direkt davor keine Maske tragen zu müssen! Beim Betreten der Posthalle bekam ich dann tatsächlich kurz und heftig etwas ins Auge und war für zwei Minuten unpässlich: All die bekannten Gesichter, die Plattenbörse, das traf emotional härter, als geahnt. Ab diesem Zeitpunkt begann jedenfalls ein Wochenende, das insgesamt wie eine Reise durch ein Portal in eine Zeit vor Corona anmutete. Nur die vereinzelt in der Halle stehenden Maskenträger erinnerten an die derzeitige Gesamtsituation. Unser Rüdiger und ich trugen keine Masken, deshalb fanden wir uns glücklicherweise problemlos. Das "auf die Schnelle" zusammengestellte Programm muss auch im Rückblick keinen Vergleich mit den gloriosesten KIT-Veranstaltungen der Vergangenheit scheuen. Viele von euch, die daheimgeblieben waren, nutzten die Möglichkeit, die dankenswerter Weise eingerichteten, kostenlosen Live-Streams anzuschauen. Dafür möchte ich an dieser Stelle ein zusatzliches, riesiges Lob an den Veranstalter ausdrücken: beispielhaft! Aus dem, vielen Lesern sicher bereits bekannten Billing möchte ich hier lediglich meine fünf persönlichen Favoriten nennen, als da neben den Abräumern BLIND GUARDIAN wären: WHEEL, ATLANTEAN KODEX und CANDLEMASS! Darüber hinaus war jeder der 15 Gigs, die ich mal mehr, mal weniger konzentriert verfolgte, qualitativ einem KIT angemessen, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich immer streiten. Zu meiner Band des Wochenendes wurde aber natürlich TRIUMPH OF DEATH, die das Werk von HELLHAMMER zum Besten gab und einem dabei den Atem raubte, eine andere Formulierung fällt mir dazu nicht ein. Grandiose Spiellust der Band, ein Tom Warrior, der offenbar einen Clown gefrühstückt hatte und ein völlig ausgehungertes, nach Live-Energie lechzendes Publikum waren die Zutaten, die das Konzert von TRIUMPH OF DEATH zu einem der legendären KIT-Gigs werden ließ. Uh! UH! Uh! Uh! Uh! Uh! Uh!...
Vielen Dank fürs Lesen! Ich wünsche euch allen ein wunderbares, gesegnetes, gesundes und musikalisch begeisterndes Jahr 2022!
Die Top 20-Alben in der Übersicht. Mit einem Klick auf den Albumnamen gelangt ihr zur Rezension.
Rang |
Band | Album |
01. | HELLOWEEN |
Helloween |
01. | NECRONOMICON |
The Final Chapter |
03. | ALICE COOPER |
Detroit Stories |
04. | DREAM THEATER |
A View From The Top Of The World |
05. | WITHERFALL |
Curse Of Autumn |
06. | TENTATION |
Le Berceau Des Dieux |
07. | THE TCHIK |
Gefühle |
08. | BROILERS |
Puro Amor |
09. | IRON MAIDEN |
Senjutsu |
10. | U.D.O. |
Game Over |
11. | UNTO OTHERS |
Strength |
12. | INFEX |
Burning In Exile |
13. | MEGA COLOSSUS |
Riptime |
14. | ROB ZOMBIE |
The Lunar Injection Cool Aid Eclipse Conspiracy |
15. | BRAINSTORM |
Wall Of Skulls |
16. | CARCASS |
Torn Arteries |
17. | BLACK LABEL SOCIETY |
Doom Crew Inc. |
18. | 24/7 DIVA HEAVEN | Stress |
19. | ANGELUS APATRIDA |
Angelus Apatrida |
20. | MOTORJESUS |
Hellbreaker |
- Redakteur:
- Timo Reiser