Gruppentherapie: WITHERFALL - "Sounds Of Forgotten"

12.06.2024 | 08:58

Dieses Album nimmt euch an die Hand!

Nach einem wahren Gruppentherapie-Marathon (RHAPSODY OF FIRE, WARLORD, KERRY KING, RIOT V und FREEDOM CALL) kommen wir nun endlich auch zum Sieger des Mai-Soundchecks. Nicht nur Hauptrezensent Marius feiert das neue WITHERFALL-Album "Sounds Of The Forgotten". Auch bei drei weiteren Soundcheckern kratzt der Longplayer an der Höchstnote. Was die Faszination an WITHERFALL sein könnte, wird in Kollege Machers Gespräch mit zwei Bandmitgliedern deutlich. Unter anderem legen die Musiker nämlich großen Wert auf eine professionelle Produktion. Was natürlich lange noch nicht bedeutet, dass der Sound nun jeden an die Hand nimmt.

[Thomas Becker]

Zunächst muss ich sagen, dass ich die optischen Konzepte von WITHERFALL schlichtweg wunderschön finde, da lacht das Sammlerherz. Denn nach dem gelben, blauen und roten Album und einer grünen EP erstrahlt das nunmehr vierte Album der Prog-Power-Metaller aus L.A. in einem atmosphärischen, melancholischen Lila, einfach sehr hübsch. Nach etwas mehr als drei Jahren muss sich das neue Album "Sounds Of Forgotten" mit meinem bisherigen Bandliebling "Curse Of Autumn" messen lassen und zieht leider ganz knapp den Kürzeren.

Die Melodien, so eindringlich und markant, sind noch immer grandios, leichte ICED EARTH-Vehemenz vermengt mit NEVERMORE- und SANCTUARY-Tendenzen sorgen noch immer für dieses schöne Home-Coming-Gefühl und auch an Epik weiß "Sounds Of Forgotten" nicht zu sparen, die Gänsehaut kommt auch diesmal wieder zurück. Aber auf mich wirken die Melodien aktuell nicht in Gänze zu Ende gedacht, ihnen fehlt dieser epische Offenbarungsmoment, obwohl 'Where Do I Begin', 'Insidious' und 'When It All Falls Away', sowie auch das offensive 'They Will Let You Down' dem schon sehr nahe kommen. Joseph Michael hat noch immer eine für Prog-Power prädestinierte Stimme – im Übrigen der Cousin von Ronnie James Dio – und die Kombination aus Riff-Power, schönen Ecken und Kanten und dem warmen Sound sorgt für Wohlbefinden mit süßlich-melancholischem Nachgeschmack.

Doch als Ganzes war der 2021er Vorgänger einfach noch etwas stimmiger, hatte aber auch – zugegeben – mehr Zeit zum Reifen. Denn das, was mir auf "Sounds Of The Forgotten" aktuell noch fehlt, könnte das Album mit etwas mehr Zeit auf jeden Fall noch hinzugewinnen.

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

 

Huch? Hat Marcel da etwa die pinke Promo bekommen und nicht das lilafarbene Original? In meinen Ohren präsentiert sich das kongeniale Komponistenduo auf "Sounds Of The Forgotten" nämlich erneut in herausragender Form. Meine neun Punkte für "Curse Of Autumn" unterschreibe ich auch heute noch, beim neusten Machtwerk der Amis bin ich sogar geneigt, noch einen halben Punkt zu addieren.

Die Band zeigt hier nämlich das, was man im Fußball Spitzenmannschaften attestiert: taktische Variabilität bei gleichbleibender Klasse. Und nicht zu Ende gedachte Melodien? Fehlen da einige Sekunden bei 'Where Do I Begin' oder 'Sounds Of The Forgotten'? Ich für meinen Teil kann von der Melange aus Kraft und Emotion gar nicht genug bekommen. Hat da jemand "Album des Jahres" gerufen? Man soll natürlich den Tag nicht vor dem Abend loben, aber dieses Hörerlebnis zu toppen, dürfte dieses Jahr lediglich eine andere amerikanische Band schaffen. Und wie der Zufall es will, hätte Marco Minnemann dort auch beinahe seine Finger im Spiel gehabt.

Note: 9,5/10
[Nils Macher]

Feinster progressiver Metal und dann noch jede Meine ICED EARTH- und NEVERMORE-/SANCTUARY-Referenzen? Da habe ich mich wirklich wie ein kleines Schneekuchenpferd auf die mir bisher vollkommen unbekannte Band gefreut. Nach nun deutlich über zehn Durchgängen von "Sounds Of The Forgotten" bin ich aber zwiegespalten. Das ist musikalisch ohne Zweifel das oberste Regal und es gibt auch jede Menge wirklich starke Ideen, die das Album ungeheuer abwechslungsreich gestalten. Aber - und das ist nicht nur so eine kleine Schwäche, sondern ein tiefgehendes Problem - die Band schafft es nicht wie andere progressive Veteranen den Hörer an die Hand zu nehmen, durch das musikalische Chaos zu führen und dann durch erinnerungswürdige Melodien oder herzergreifende Refrains zu belohnen.

Tolle Songs, ohne Frage - aber es gibt keine "Magic Moments". Das haben NEVERMORE oder auch SANCTUARY (Refrain bei 'Frozen', um mal ein neueres Beispiel zu bringen) viel besser hinbekommen. Das hier ist viel schwerer und sperriger und erinnert mich, auch thematisch, immer wieder an INTO ETERNITY. Auch eine fantastische Band, welche die Eingängigkeit auch erst grüßt, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Somit muss man sich nicht fragen, warum eine so talentierte Band immer noch unter dem Radar schwimmt.

Dazu kommen die teilweise doch arg schwülstigen, wehleidigen Lyrics, die Joseph Michael dann auch noch mit einer grenzwertigen Theatralik versucht unter die Leute zu bringen. Auch da war Warrel Dane in beiden Fällen um Längen besser unterwegs. Davon abgesehen habe ich mit "The Fragile Art Of Existence" und "Buried In Oblivion" ähnliche Vertreter schon im Schrank stehen und finde trotz aller musikalischer Klasse keinen Grund, warum auch WITHERFALL und insbesondere "Sounds Of The Forgotten" zwingend in diese Sammlung gehören sollte.

Note: 7,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Also ich weiß nicht, warum WITHERFALL dich nicht an die Hand nimmt, Stefan. Bei mir tun die Amerikaner das und zerren mich mit jedem Durchlauf weiter in ihre wunderschöne metallische Welt, deren Eckpunkte die Kollegen mit der Nennung von SANCTUARY und ICED EARTH schon zur Genüge abgesteckt haben. Mitunter geht das sogar so weit, dass ich inzwischen meine Note aus dem Soundcheck bereue. Wir haben eben nur ein begrenztes Zeitfenster, um Platten zu benoten und gerade Dauerbrenner wie "Sounds Of The Forgotten" können da schon einmal auf der Strecke bleiben.

Höre ich Kracher wie 'They Will Let You Down', 'Insidious' oder 'Ceremony Of Fire' heute, würde ich jedenfalls definitiv neun Zähler zücken oder sogar noch einen halben Punkt obendrauf legen. Recht hat Stefan aber damit, dass auch ich Warrel Dane angesichts des Bandsounds immer irgendwie vermisse, einfach weil das musikalische Fundament den ehemaligen Bands der gesanglichen Legende so ähnlich ist. Das soll keinesfalls heißen, dass Joseph Michael einen schlechten Job machen würde, doch die Fußstapfen Mr. Danes sind halt doch einfach zu groß. Dem Hörgenuss schadet das aber keinesfalls, auch weil - gerade für mich als Gitarristen natürlich relevant - die Sechsaiter mit tollen neoklassisch angehauchten Leads und Riffs die Kohlen locker wieder aus dem Feuer holen. WITHERFALL ist damit auch für mich ein verdienter Soundcheck-Sieger, dem ihr durchaus etwas Zeit einräumen solltet, denn danach sind das hier Sounds, die ihr nicht so schnell vergessen werdet!

Note: 8,5/10
[Tobias Dahs]

 

Das letzte Album "Curse Of Autumn" der Kalifornier von 2021 schaffte es damals tatsächlich in meine Top-20-Jahrescharts. Trotzdem habe ich mich bis heute nie so richtig mit dem Schaffen des Quartetts aus Los Angeles beschäftigt. Manchmal muss man eben zu seinem Glück gezwungen werden.

Die musikalische Nähe zu Bands wie NEVERMORE, COMMUNIC oder ICED EARTH schmeckt mir sehr und triggert meinen Like-Button von der ersten Sekunde an. Die knapp fünfundfünfzig Minuten verfliegen dann auch wie im Flug. Das ist bemerkenswert und in der kurzlebigen Zeit eine echte Besonderheit (Thema: Aufmerksamkeitsdefizit). In den zehn Songs gibt es aber auch extrem viel zu entdecken. Die Musik ist definitiv nicht vorhersehbar und nicht nach Schablone oder einer speziellen Formel komponiert. Die Band schafft es, für jedes Instrument innerhalb der einzelnen Songs genügend Freiraum zur Entfaltung zu generieren, was die einzelnen Musiker auch perfekt zu nutzen wissen.

Hervorzuheben sind Bassist Anthony Crawford, der ein paar extrem leckere Grooves an den Tag legt und vom klassischen Begleitinstrument deutlich abweicht, und Schlagzeuger Marco Minnemann. Ok, ich muss nicht mehr sagen, oder? Das trommelnde Wunderkind ist kein permanentes Mitglied von WITHERFALL, hat aber diese Scheibe eingezimmert, nein, mit seiner Klasse veredelt. Was der junge Mann hier an der Schießbude abliefert, ist oberstes Regal, wertet die musikalische Darbietung gleich um mehrere Level auf und ist allein ein ausreichender Grund für den Kauf der Scheibe. Natürlich macht auch Frontmann Joseph Michael seine Sache hervorragend. Immer ein wenig um den Ton herum singend, flüsternd oder schreiend kreiert er dadurch schon fast eine diabolische, leicht KNG DIAMOND-angehauchte Atmosphäre, die zur Schwere und Melancholie der Kompositionen und des lyrischen Konzepts perfekt passt.

Möchte ich Kritik üben, dann ist mir die Produktion von Chris "Zeuss" Harris etwas zu sauber, zu steril geraten. Die Musik hätte mehr Wucht, aber auch mehr Raum vertragen können. Und obwohl die Songs großartig geworden sind, fehlt mir aber der alles überstrahlende Hit, der das gesamte Album trägt. Und zu guter Letzt sind es gerade hinten raus ein paar getragene, balladeske Momente zu viel. Hier hätte noch der eine oder andere Arschtritt sicherlich ordentlich gesessen. Meckern auf hohem Niveau.

Note: 8,0/10
[Chris Staubach]

Fotocredits: Stephanie Cabral

Redakteur:
Marcel Rapp

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