Gruppentherapie: ACCEPT - "Humanoid"

03.05.2024 | 00:51

Uns lässt die neue ACCEPT-Scheibe irgendwie nicht los. Woran es liegt? Fragen wir doch mal in die Runde und starten eine illustre Gruppentherapie zu "Humanoid".

Wie schon bei den Kollegen von RAGE bin ich auch im Hause ACCEPT der Spielverderber. Hier finde ich es persönlich noch erschreckender, denn diese Band war einstmals ein wichtiger Bestandteil meiner musikalischen Sozialisierung. Ich muss hier nicht zum Millionsten Mal berichten, was es für eine Erfahrung war als 1982 'Fast As A Shark' aus den Boxen ratterte, oder? Gut. Zwar war für mich nach "Metal Heart" ein bisschen die Luft raus, aber mit "Blood Of The Nations" konnte mich die Band wieder zurückgewinnen. Allerdings auch nur für dieses eine Album, denn die Musik danach klang für mich immer stagnierend. Es fehlte an Biss und Frische, ganz so, als könne man die internen Querelen auch im Output wiederfinden. Trotzdem bin ich auch heute noch immer freudig gespannt auf ein neues Album der einstigen Helden. Aber die Begeisterung ist bereits nach dem ersten Durchgang verflogen. Wo ist die Schärfe in den Gitarren hin? Wo sind die mitreißenden Riffs, wo die coolen Gesangmelodien, die sich schnell ins Gehirn fräsen? Ich kann sie auf "Humanoid" leider nirgends finden. Stattdessen höre ich elf Songs von der Heavy-Metal-Stange mit Refrains, die sich schon beim dritten Durchlauf abgenutzt haben. Gut, 'Unbreakable' kann mit einer typischen Hoffmann-Gitarren-Idee etwas herausstechen und auch 'Man Up' ist mit seinem beinahe poppigen Flair eine nette kleine Überraschung, aber wirklich mitreißen können selbst diese Nummern nicht. Und das sollten sie doch, wenn man eine Note ab sieben Punkten vergeben will, oder nicht? Ist es vielleicht auch der Name auf dem Cover, der den einen oder anderen Sympathie-Punkt zücken lässt? Kann ich alles verstehen. Manchmal habe ich auch rosarote Kopfhörer auf, aber im Falle des Wolf-Hoffmann-Projektes bin ich einfach nur ein bisschen gelangweilt. So einfach kann es manchmal sein.

Note: 6,5/10
[Holger Andrae]



Keine Sorge, Holg. "Humanoid" haut mich auch nicht restlos vom Hocker. Die Thematik der künstlichen Intelligenz, sozialen Medien und modernen Technologien erfreut sich seit einigen Monaten wachsender Beliebtheit und so springen auch die Solinger von ACCEPT auf, und widmen dieser ein gesamtes Album. Ein sechstes Werk mit Tornillo also und nachdem ich "The Rise Of Chaos" großartig und "Too Mean To Die" etwas schwächer fand, geht es mit "Humanoid" wieder in die richtige Spur. Die Songs drücken, haben sehr viel Mitsingpotential, haben Groove, sprießen vor Stahl und könnten für ACCEPT kaum typischer sein. Dazu eine tadellose Produktion von Andy Sneap, der, wenn er nicht mit JUDAS PRIEST auf Tour ist, auch auf dem Produzentenhocker eine sehr gute Figur macht. Vor allem offensivere Songs wie 'Frankenstein', 'The Reckoning' und 'Unbreakable' machen ungemein Laune, da ich auch Lulis als zweiten Gitarristen neben Wolf Hoffmann sehr mag und als Musiker schätze. Doch auch etwas stampfendere Songs wie 'Man Up' und 'Mind Games', das Potential zum Klassiker hat, machen Lust und Laune, wohingegen ich mich mit der Ballade 'Ravages Of Time' nicht so recht anfreunden kann. Trotzdem haben die Solinger die Thematik gut und authentisch umgesetzt und somit wieder ein gutes Album kredenzt, obwohl ich "Blood Of The Nations" und "The Rise Of Chaos" der vorliegenden "Humanoid"-Scheibe immer vorziehen würde. Doch darf sich in der Tornillo-Phase diese mit "Stalingrad" um Platz 3 prügeln.

Note: 7,5/10
[Marcel Rapp]

 

Ich kann meinen lieben Kollegen Holger durchaus im Falle des ersten Eindrucks verstehen, denn "Humanoid" ist nicht das Album, das einen sofort aus den Socken haut. In diesem Punkt ist der Silberling dem neuen RAGE-Langdreher "Afterlifelines" nicht unähnlich, denn auch bei Peavy und Co. haben sich die Kompositionen erst nach und nach einen Weg in mein Herz erschlichen, bis ich schließlich die Refrains problemlos mitsingen konnte. Im Falle von ACCEPT ist dieser Umstand schon länger präsent, denn nach "Blood Of The Nations" hat mich kein Album mehr sofort aus den Latschen kippen lassen. Aber wie die Vorgänger wächst eben auch "Humanoid" mit jedem Durchlauf. Die Riffs von Mr. Hoffmann sind dabei sowieso schon seit Jahren über jeden Zweifel erhaben, gleiches gilt für seine wunderbaren Gitarren-Leads, die oftmals sehr sozialkritisch angehauchten und von aktuellen Themen beeinflussten Texte von Mark gefallen mir gewohnt gut und die Refrains schleichen sich eben wie erwähnt fast unbemerkt in die Hirnwindungen, wobei sich gerade 'Frankenstein', 'The Reckoning' und 'Mind Games' als meine heimlichen Favoriten etabliert haben. Ist "Humanoid" damit ein Album für die Ewigkeit? Vielleicht nicht, denn gerade die Höhen des mit Abstand besten ACCEPT-Langdrehers "Blood Of The Nations" (ja, ich bevorzuge die aktuelle Inkarnation der Band!) werden nur in einzelnen Momenten erreicht. Aber ähnlich wie Marcel sehe ich die Scheibe auf Augenhöhe mit starken Werken wie "Stalingrad" oder "Too Mean To Die", weshalb ich als langjähriger Fan des Teutonenstahl-Schlachtschiffs mit einem breiten Grinsen aus dem humanoiden Genuss komme. Und gerade im Falle von klassischem Heavy Metal ist es eben genau das, was ich mir erhoffe. Also, weiter so, Herr Hoffmann!

Note: 8,0/10
[Tobias Dahs]

 

Ich habe ja gehofft, dass sich auch bei mir der Tobias-Effekt einstellen wird, wie es eben bei RAGE so gut geklappt hat, wo die Songs tatsächlich von Durchlauf zu Durchlauf gewachsen sind, bis ich sie nicht mehr aus dem Ohr bekommen habe. Aber bei ACCEPT und "Humanoid" hat das nicht funktioniert. Das liegt vermutlich daran, dass die allermeisten Songs im immergleichen ACCEPT-Midtempo-Takt vorgetragen werden, der nun wirklich keine Überraschungen mehr birgt. Wie oft kann man denselben Song eigentlich aufnehmen, ohne dass man zur Selbstparodie wird? Die Chose wird letztlich dadurch gerettet, dass dieser eine Song nun mal ziemlich geil ist und man zwischendurch immer wieder "Princess, Princess... Princess of the DAWN" vor sich hinmurmelt. Auch schön. Größter Pluspunkt von "Humanoid" ist allerdings die herausragende Produktion, die genau dieses Traditionsstahl-Momentum einfach perfekt einfängt und somit die Parodie-Klippen gekonnt umschifft. Das ist genau der Sound, der den direkten Weg ins metallische Herz findet. Und es kompensiert zumindest teilweise, dass Songs wie 'Man Up' oder 'Straight Up Jack' doch schon eine Selbstkopie-Frechheit darstellen. Am besten funktioniert diese Art von Musik für mich sowieso immer dann, wenn das Gaspedal etwas tiefer durchgedrückt wird. Geschieht leider auf "Humanoid" viel zu selten. Unterm Strich kann ich das Album aufgrund des oben erwähnten "Metal Heart" nicht schlecht finden. Aber irgendwie überflüssig ist es trotzdem, schließlich gibt es diese Platte schon einige Male.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]

 

Ich muss an dieser Stelle gleich vorausschicken, dass ich in Sachen ACCEPT teamintern wohl einer der unkundigsten Redakteure sein dürfte. Das liegt zum einen daran, dass ich grundsätzlich weder seinerzeit noch dieser Tage besonders viel mit Teutonenstahlmusik anfangen kann. Zum anderen an der unverrückbaren Tatsache, dass die Stimme von Udo Dirkschneider bei mir bereits nach kurzer Zeit starke Kopfschmerzen und mittelschweres Magengrummeln verursacht. Dafür kann der seit nun bereits fünfzehn Jahren in der Band befindliche Nachfolger Mark Tornillo zwar natürlich überhaupt nichts, trotz allem war der kleine Mann mit dem gewöhnungsbedürftigen Kratzbürstenstimmorgan wohl unbewusst dafür verantwortlich, dass ich mich auch in Folge mit Outputs der Solinger schwergetan habe und der Band auf Albumlänge nie mehr wirklich eine Chance geben sollte und alle Platten daher mehr oder weniger an mir vorbeigerauscht sind. Ein großer Fehler, wie sich nun herausstellt, läuft mir das aktuelle Album doch erstaunlich gut rein in die Gehörwindungen.

Woran liegt's? Zum einen wohl einfach daran, dass die Musik mit Tornillo eigentlich angenehm unteutonisch klingt, obwohl der Einfluss des amerikanische Shouters auf das Songwriting vermutlich sehr begrenzt sein dürfte. Wie auch immer, das ist fast durchweg wuchtig treibender, schön nach vorne peitschender und für mich unerwartet dynamischer Heavy Metal ('The Reckoning', 'Unbreakable'), hier mal schön hardrockend ('Nobody Gets Out Alive', 'Straight Up Jack') und hookline-stark ('Man Up', 'Mind Games'), da mal angenehm balladesk ('Ravages Of Time'), wie ich ihn mir in der Form doch mehr als gern gefallen lasse. Die außerordentlich starken Riffs brennen sich schnell ein in der Hörrinde und auch die klangprächtigen Wolf Hoffmann-Soli sind überwiegend zielsicher platziert und sorgen für stattliche und durchgängige Hörfreude. Selbst die Handschrift eines Andy Sneap, dessen sonst viel zu klinisch glattgebügelte Produktionen mir persönlich eher ein Dorn im Ohre sind, stört mich hier auf einmal überhaupt nicht. Wer hätte das gedacht, dass ich auf meine alten Tage noch eine Leidenschaft für die Stahlpropheten im eigenen Land entdecke. Da sollte ich wohl schleunigst mal ein wenig nacharbeiten, was den Backkatalog der letzten Jahre so betrifft, denn eines ist sicher: Auch ich bin, wie Kollege Dahs, eindeutig Team Tornillo zugehörig.

Note: 8,0/10
[Stephan Lenze]

 

Sind wir mal ehrlich: Die letzten beiden ACCEPT-Alben waren ziemlich mau, auch "Blind Rage" schon nicht mehr auf dem Niveau von "Blood Of The Nations" und "Stalingrad". Umso besser, dass die Exil-Deutschen mit "Humanoid" wieder zu besserer Form finden - das Scheibchen ist mindestens wieder auf "Blind Rage"-Niveau und macht vor allem den wirklich schwachen Vorgänger "Too Mean To Die" vergessen. Woran liegt es? Nun, die Songs beißen wieder ein bisschen mehr, haben wieder den Grip, den man eher mit dem Herrn Dirkschneider verbindet. Zuletzt war ACCEPT recht glatt geworden, was auch an den ballerigen Produktionen und den arg schematischen Songs lag. Hier zünden die Nummern wieder mehr, und vor allem ist es nicht ganz so vorhersehbar. Aber keine Sorge: "Humanoid" klingt natürlich zu 100% nach ACCEPT. Aber eben nach gutem ACCEPT-Stoff. Keine Frage: Die Überraschungseffekte der Hochphase bekommt man nicht wieder, und letztlich zieht die Truppe seit dem Einstieg von Tornillo (erfolgreich) den gleichen Stiefel durch. Aber manchmal passt der Stiefel halt ein bisschen besser. Wer nach "Too Mean To Die" oder schon nach "The Rise Of Chaos" aufgegeben hatte, aber mit den ersten zwei bis drei Tornillo-Alben etwas anfangen konnte, der sollte "Humanoid" auf jeden Fall eine Chance geben.

Note: 8,0/10
[Jonathan Walzer]

 

Photo Credit: Christoph Vohler

Redakteur:
Marcel Rapp

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