Perlen der Redaktion: Marcel Rapps Highlights 2022
10.01.2023 | 15:35Wenn ich eines schönen Tages an 2022 zurückdenke, wird mir das Wort "turbulent" einfallen. Durch und durch positive, schöne Veränderungen haben sich von Januar bis Dezember durchgezogen. Es gab große Momente, erfolgreiche Augenblicke, aber auch einige Tiefschläge und zu bewältigende Erlebnisse, hinter denen am Ende dieses Jahres jedoch ein grünes Häkchen gesetzt werden kann. All diese Dinge – ob nun positiver oder negativer Natur – haben meinen persönlichen Soundtrack gemein, der mir wie ein Fels in der Brandung dabei half, mich meinen Herausforderungen zu stellen, mich über wunderbare Dinge zu erfreuen und mir bei unschönen Sachen einen geeigneten Trost gaben. Liebe Leser, heute möchte ich euch meine Top-Alben des Jahres 2022 vorstellen.
Den Anfang macht meine Goldmedaille, mein stärkster, aber zeitgleich auch traurigster Release, da er leider mit dem Ableben David Anderssons in Verbindung steht. "Övergivenheten" ist für mich das bislang beste Album SOILWORKs. Denn das, was "Verkligheten" ankündigte und von der "A Whisp Of The Atlantic"-EP veredelt wurde, wird auf dem neuesten Album Strids und Co. zur Perfektion gebracht. Der im Vorfeld angekündigte Titeltrack ist eine wahre Offenbarung, eine Naturgewalt, wie sie im Buche steht, und somit ein folgerichtiger Appetizer für das, was im August auf uns und die Melo-Death-Gemeinde herangerollt kam. Selten war die Symbiose aus Härte und Melodie, aus Melancholie und Spielfreude, aus Emotionalität und Souveränität filigraner als auf diesem Album. Jeder einzelne Zutat – ob Speeds gefühlvoller Gesang sowie seine atemberaubenden Shouts, die flirrenden, rockenden, sägenden Gitarren, die Momente vollkommener Schwerelosigkeit, nur um dann mit harten Breaks, Doublebass-Attacken und wummernden Bässen wieder in die Realität zurückgeholt zu werden, harte und härtere Momente, die sich mit piekfeinen Melo-Death-Ohrwürmern abwechseln – selbst über den Zeitraum von fünf, sechs Monaten, in denen man ein Album auch sattgehört haben kann, hat "Övergivenheten" keinerlei Abnutzungserscheinungen.
Somit steht für mich – auch wenn es per se keine Kategorie ist – mit Björn Strid auch der Künstler des Jahres 2022 fest, hat er zu Beginn des Jahres mit AT THE MOVIES und DONNA CANNONE schon 70's Rock und Soundtrack erprobte Ohren beglückt und mich auf insgesamt drei Live-Erlebnissen – auf dem Rock Hard Festival, in Köln und in Bochum – mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA in den Bann gezogen. Doch das, was er mit SOILWORK Mitte August veröffentlicht hat, geht mir noch immer sehr nahe – was leider auch am viel zu frühen Tod Anderssons liegt, der im September dieses Jahres viel zu früh seine Augen für immer schloss. Ruhe in Frieden, Sweet Doctor.
Durchaus erfreulicher ist meine zweitplatzierte Wahl, haben Robb Flynn und MACHINE HEAD mit "Of Kingdom And Crown" ein absolutes Groove-Monster erschaffen, das auf der gemeinsamen Tour mit AMON AMARTH und THE HALO EFFECT von mir in Oberhausen auch live begutachtet werden konnte.
Ehrlicherweise habe ich MACHINE HEAD nach "Bloodstone & Diamonds" sowie "Catharsis" nicht mehr die Aufmerksamkeit schenken wollen, die die Amis dank bahnbrechender Alben wie "Through The Ashes Of Empire", "The Blackening" und "Unto The Locust" einst bekamen. Doch gleich nach dem ersten Durchgang war ich mächtig beeindruckt ob des neuen Drucks, des Grooves, der Anzahl an Hits und der Rückbesinnung auf eigene Stärken, sodass "Of Kingdom And Crown" stilistisch einen Schritt zurück macht, nur um MACHINE HEAD mehr als zwei, drei Schritte wieder nach vorne zu bringen.
Die Bronzemedaille hingegen bleibt in deutschen Händen und geht nach Frankfurt, genauer gesagt zu den Jungs von TANKARD, mit denen ich im Sommer einen sehr schönen Tag verbrachte, in das neue Album lauschen durfte und "Pavlov's Dawgs" somit die Zeit schenken konnte, die die Platte auch verdient. Und Himmel, Arsch und Zwirn, was bockt die Scheibe vom ersten bis zum letzten Ton?! Äußerst konsequent, wild und hungrig, dabei aber wohl überlegt und mit der nötigen Routine hämmern sich die Hunde Pavlovs immer zielgerichteter in die Gehörwände und in Anbetracht solcher Alben wie "Hate Über Alles" und "Diabolical", die von den TANKARD'schen Szenekollegen auch dieses Jahr veröffentlicht wurden, kann man Gerre und Co. nur gratulieren, KREATOR und DESTRUCTION Paroli geboten zu haben und zu solch einem Befreiungsschlag im typischen Bandgewand angesetzt zu haben.
Darüber hinaus möchte ich auch einige Worte über sogenannte "Wohlfühl-Alben" verlieren, also Bands und ihre neuen Alben nennen, die mir allesamt auch in schweren Zeiten ein gutes, durch und durch lebensbejahendes Gefühl gegeben haben. Sogleich wäre da die AOR-Legende JOURNEY zu nennen, die mit "Freedom" nach einer gefühlten Ewigkeit ein neues Album herausgebracht hat und den Geist, für den die Amis bekannt sind, gekonnt und konsequent mit einer Fülle an neuen Hits und schönsten Melodien mit einer zeitgemäßen Umsetzung verpackt hat. Doch auch "Not The End Of The Road" sorgte zu Beginn des Jahres 2022 trotz tristen Wetters für einige Sonnenstrahlen, da es die KISSIN' DYNAMITE-Jungs doch stets aufs Neueste schaffen, ihrer bisherigen Karriere neue Höhepunkte zu verpassen, ohne dabei das Können, lupenreine Rock-Hits zu produzieren, außer Acht zu lassen.
Persönlich war auch "Hammer Of Dawn" ein solches Wohlfühlalbum im schwermetallischen Gewand. 2003 wurde mein noch immer liebstes HAMMERFALL-Album veröffentlicht, das auch viele Jahre später nicht nur fleißig seine Runden dreht, sondern mich an eine unbeschwerte, wunderbare Zeit erinnert. Und genau hier liegt des "Hammer Of Dawn"s Kern, denn musikalisch erinnert mich die neueste Platte verdammt oft an den 2003er Geniestreich, wirkt ebenso frisch und unbekümmert wie heavy as fuck.
Auch die Hardrocker AUDREY HORNE haben mit "Devil's Bell" ein neues, überraschend gutes Album an den Mann gebracht. Hatte ich in der Vergangenheit mit den Nordeuropäern immer das Problem, das eine Melodie, ein Refrain oder ein paar Riffs zu viel ins Bälleparadies geworfen wurden, gelingt dem neuesten Zapfenstreich der Spagat aus Eingängigkeit und Überraschungsmomenten – eine Fähigkeit, durch die auch die aktuelle SOULFLY-Urgewalt "Totem" ihren berechtigten Platz in meiner Liste bekommt. Allein der Opener offenbart uns schon früh die Macht, mit der Cavalera und Co. zu Werke gehen, mit welcher Entschlossenheit sich "Totem" emporhebt und welche abenteuerlichen Dinge im Groove-/Thrash-Urwald auf uns warten.
Erwähnen möchte ich allerdings auch noch zwei Namen, mit denen man objektiv eventuell nicht gerechnet hätte, die Alben bei genauerer Betrachtung aber dennoch ihre absolute Berechtigung in meiner Jahresendwertung erhalten. MALADIE verfolge ich schon von Bandgeburt an und immer wieder stellten die sogenannten "Plague"-Metaller ihr bisheriges Schaffen in den Schatten, um mit neuen EPs oder gar Alben den nächsten Avantgarde-/Black- und Death-Metal-Schritt machen zu können. Mit "Wound Of Gods" haben die Musiker ihren bisherigen Zenit erreichen können, ein Album, das vor allem in Sachen Atmosphäre und Intensität Bäume ausreißt und auch vor geglückten Experimenten nicht zurückschreckt. Ein weiteres Aha-Erlebnis hat sich mit "Year Of The Dark Horse" von THE WHITE BUFFALO eingeschlichen. Richtig, auch in diesem Jahr 2022 haben ich die Serie "Sons Of Anarchy" gesuchtet [Achtung, Spoiler! - Anm. d. Red.], habe mitgefiebert und war am Ende erneut den Tränen nahe, als Teller offensichtlich den Freitod wählte. Und welche Stimme könnte zu dieser Götterserie besser passen als die tiefe von THE WHITE BUFFALO. Sein neustes Album ist weniger eine Aneinanderreihung von Hits im düsteren Country-Rock-Gewand als mehr eine hochatmosphärische, mal melancholische, mal etwas stürmischere, aber oftmals durch und durch unterhaltsame Reise durch die südstaatliche Ohrenprärie. Ein kleiner Geheimtipp meinerseits also.
Vor großen Namen schrecken auch die nächsten Plätze nicht zurück, habe ich KREATOR und DESTRUCTION zwar schon erwähnt, doch auch meine alte Jugendliebe BLIND GUARDIAN hat ein heftiges Back-to-the-roots-Album veröffentlicht, das Kollege Stefan und ich erstmals gemeinsam mit der Band bei der Kölner Schifffahrt hören durften. Zudem gehen lupenreine Thrasher wie "Shattering Reflections" von EVIL INVADERS und FATEFUL FINALITYs "Emperor Of The Weak" ähnlich gut durch Mark und Bein wie das Hymnenarsenal von FLOGGING MOLLY, das selbstbetitelte Debütalbum von DONNA CANNONE im wunderschönsten 70's-Rock-Gewand, das neue MANTAR-Statement oder auch das wie eh und je ergreifende "A Heartless Portrait (The Orphean Testament)" aus dem Hause EVERGREY. Last but not least möchte ich auch Herrn DEVIN TOWNSEND und seine "Lightwork"-Reise erwähnen, die weniger in Sachen Heaviness als mehr als wunderbarer, gemütlicher und sonnendurchfluteter Ambient-Soundtrack überzeugt. Hier dürft ihr euch gerne den Clip zu 'Moonpeople' anschauen, um zu wissen, welche Expedition ich genau meine.
Und wo wir einmal beim Thema "Lieblingssongs" sind, blicken wir natürlich auf 'Heidrun' von AMON AMARTH, H.E.A.T.s Hommage an 'Hollywood', die Modern-Metal-Überraschung 'If The Sky Came Down' aus dem Hause LOST SOCIETY und Tobias' Newcomer-Sensation THE HALO EFFECT, die mich vor allem mit 'Days Of The Lost' wachrütteln konnte. Zwei spezielle Songs, die in eine etwas andere Richtung gehen, mich aber dennoch ob ihrer Art und Weise beeindruckt haben, sind zum einen das GEORGE MICHAEL-Cover von 'Careless Whisper' aus dem Hause TRAITOR – ganz großes Kino – sowie die 80er-Jahre-Huldigung von NEW KIDS ON THE BLOCK. Und seien wir einmal ehrlich, noch nie wurde das Thema Nostalgie so detailverliebt, emotional und schlichtweg wundervoll in Szene gesetzt wie mit dem absoluten 'Bring Back The Time'-Ohrwurm. Wünscht man sich das nicht ohnehin ab und an?
Zu guter Letzt kommen wir zu den Newcomern in diesem Jahr, wobei es mir sehr schwer fällt, die Liste klein zu halten, haben mich doch Bands und Künstler wie TAILGUNNER und BIWO mit ihrer schwermetallischen Art ähnlich beeindruckt wie das DONNA CANNONE-Projekt um Speed und THE HALO EFFECT, obgleich man hier von schon sehr etablierten Künstlern sprechen kann, sowie BLOODHONEY und MELBURN aus dem Ruhrgebiet und PARIAHLORD, die in eine ähnliche Stoner-Rock-Richtung gehen.
Namen über Namen, Songs über Songs, Empfehlungen über Empfehlungen – wer mich kennt, weiß, dass ich mich schwer festlegen kann ob meiner momentanen Musiklaune. Doch irgendwann muss ich ein Resümee ziehen und bedanke mich von ganzem Herzen für dieses Jahr, für eure Lesetreue, euer Feedback, für das Vertrauen der Redaktion in meine Person, für die wunderbare Zusammenarbeit sowie den Künstlern, dass sie meinem musikalischen Jahr 2022 so viel Farbe und Leben geschenkt haben.
Rang |
Band | Album |
01. | SOILWORK |
Övergivenheten |
01. | MACHINE HEAD |
Of Kingdom And Crown |
03. | TANKARD |
Pavlov's Dawgs |
04. | JOURNEY |
Freedom |
05. | KISSIN' DYNAMITE |
Not The End Of The Road |
06. | HAMMERFALL |
Hammer Of Dawn |
07. | AUDREY HORNE |
Devil's Bell |
08. | SOULFLY |
Totem |
09. | MALADIE |
Wound Of Gods |
10. | THE WHITE BUFFALO |
Year Of The Dark Horse |
11. | BLIND GUARDIAN |
The God-Machine |
12. | FLOGGING MOLLY |
Anthem |
13. | EVIL INVADERS |
Shattering Reflections |
14. | EVERGREY | A Heartless Portrait |
15. | KREATOR |
Hate über alles |
16. | DEVIN TOWNSEND |
Lightwork |
17. | MANTAR |
Pain Of Forever And This Is The End |
18. | FATEFUL FINALITY |
Emperor Of The Weak |
19. | DONNA CANNONE |
Donna Cannone |
20. | DESTRUCTION |
Diabolical |
- Redakteur:
- Marcel Rapp