Perlen der Redaktion: Tobias Dahs' Highlights 2020
13.01.2021 | 21:45Das Jahr 2020 wird wohl primär für die Corona-Pandemie im Gedächtnis bleiben, überdeckte dieses Thema und die damit verbundenen Einnahmeausfälle von Musikern und Veranstaltern auf der ganzen Welt sämtliche anderen Ereignisse in der Musikwelt. Und so wichtig eine Diskussion über die Existenzsicherung für Kulturschaffende ist, so schade wäre es auch für die durchaus vorhandenen musikalischen Highlights des letzten Jahres, wenn sie davon komplett überschattet würden.
Zugegeben, 2020 lieferte dank vieler verschobener Veröffentlichungen keine unbegrenzte Anzahl von würdigen Anwärtern für meine Top 20, dafür strahlen die Highlights der Auflistung umso heller. Den Anfang macht dabei für viele wahrscheinlich wenig überraschend BIFFY CLYRO mit "A Celebration Of Endings". Nach dem sperrigen "Ellipsis" (das ich trotzdem großartig fand) liefern die Schotten einen unfassbar starken Langspieler ab, der sich irgendwo zwischen "Puzzles" und "Opposites" einsortiert, mein am meisten gehörtes Album des Jahres ist und damit vollkommen verdient und klar den Sieg in meiner Rangliste einstreicht. Gleichzeitig liefert das Trio mit 'North Of No South' und 'Tiny Indoor Fireworks' zwei meiner Lieblingssongs der letzten zwölf Monate und in Ermangelung echter Konzerte mit dem Livestream zum Album-Release auch noch mein Konzert des Jahres. Im Baseball würde man das wohl einen ungefährdeten Homerun nennen! Mit etwas Respektabstand folgt auf Platz zwei mit "Letter To You" von BRUCE SPRINGSTEEN meine persönliche Überraschung des Jahres, denn weder wusste ich, dass der Boss wieder mit seiner E STREET BAND im Studio war, noch erwartete ich nach dem für meinen Geschmack zu poppigen und etwas lahmen "Western Stars" eine echte Glanztat. Umso größer war die Freude, als das neue Album den SPRINGSTEEN-Vibe der Siebziger heraufbeschwörte und gleichzeitig eine ganze Stange von waschechten Hits ablieferte. An der Spitze steht mit 'Ghosts' eine herrlich melancholische und gleichzeitig rockende Komposition, die mir auch nach zig Hördurchläufen noch einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Willkommen zurück Bruce und jetzt bitte nicht wieder eine fast zehnjährige Phase ohne E STREET BAND.
Auf Platz 3 steht als nächstes ein Bruch mit meinen eigenen Prinzipien, denn zumeist vermeide ich es Livealben in meine Top 20 aufzunehmen. ROGER WATERS ist hier aber die Ausnahme von der Regel, denn "Us & Them" ist weit mehr als ein herkömmlicher Konzertmitschnitt. Stattdessen fügt das ehemalige PINK FLOYD-Mastermind die Songs seines eigenen und des FLOYD-Katalogs so gekonnt zu einer Setlist zusammen, dass sich ein rundum gelungenes Konzept ergibt. Zusätzlich war das Konzert in Köln 2019 mein Live-Highlight der vergangenen Dekade, weshalb die Aufbereitung auf zwei CDs natürlich einen ganz besonderen Platz in meiner Sammlung bekommen hat. Hinter dem Treppchen finden sich mit DEFTONES und MAGNUM danach zwei alte Bekannte, wobei die Nu-Metaller mit "Ohms" endlich wieder ein rundum starkes Album abliefern, während "The Serpent Rings" den hohen MAGNUM-Standard hält und mir einige wunderbare Ohrwürmer beschert hat. LIK hingegen hätte ich zu Beginn des Jahres sicher nicht in meinen Highlights vermutet, doch "Misanthropic Breed" erwischte mich mit seinem klassischen Schwedentod in einer Phase, in der ich meine Sammlung im Hinblick auf DISMEMBER und ENTOMBED vervollständigte, und traf entsprechend natürlich auf offene Ohren. Die Schweden haben hier aber auch eine absolute Abrissbirne eingezimmert, die von vorne bis hinten keine Gefangenen macht und ohne einen einzigen Ausfall auskommt. Ebenso überraschend ist die Nennung von GHOSTKID, denn ohne meine liebe Kollegin Pia und ihr Interview mit Ghostkid im Pommesgabel-Podcast hätte ich in das Solodebüt des ehemaligen ESKIMO CALLBOY-Frontmanns wohl nie reingehört. Der Metalcore der ehemaligen Hauptband des Sängers liegt nämlich weit außerhalb meines Beuteschemas, doch mit seiner neuen Band, die ich irgendwo zwischen Metalcore und Nu-Metal einordnen würde, und insbesondere dem Track 'Supernova' konnte mich Sebastian "Sushi" Biesler auf ganzer Linie überzeugen.
Wo wir gerade von Überraschungen sprechen: Mein Kollege Raphael Päbst wird sicher auch nicht schlecht staunen, dass mit SHARDANA eine Band seines Labels Rafchild Records in meinen Top 10 auftaucht. Typischerweise fällt der eher klassische Schwermetall der Label-Veröffentlichungen nicht genau in meine bevorzugten Genres, doch "Milli Annos" packte mich mit einem an PRIMORDIAL erinnernden Sound auf Anhieb und strich auch vollkommen verdient den Sieg in unserem Dezember-Soundcheck ein. Die übrigen Platzierungen meiner Rangliste werden dann allerdings von Bands belegt, deren Alben ich auch im Vorfeld auf dem Schirm für meine Jahreshighlights hatte. DARK TRANQUILLITY landet mit "Moment" deutlich weiter vorne als ich es nach dem eher schwachen "Atoma" vermutet hätte, während TESTAMENT mit "Titans Of Creation" abgesehen von einem großartigen Cover etwas hinter meinen Erwartungen zurückbleibt. BELTEZ überzeugt mit "A Grey Chill And A Whisper" und einem wunderbar ausgetüftelten Konzept dafür auf ganzer Linie und landet bereits zum zweiten Mal in meiner Bestenliste, während ich mir ähnlich wie bei TESTAMENT vom neuen BLACK STONE CHERRY-Album sogar noch etwas mehr versprochen hätte, als "The Human Condition" dann am Ende liefern konnte. Für den Platz direkt hinter den Top 10 reichen die Ohrwürmer auf der Scheibe schlussendlich doch, von Großtaten wie "Folklore And Superstition" oder "Between The Devil & The Deep Blue See" sind die Songs inzwischen aber doch schon ein gutes Stück entfernt.
Wo wir von Erwartungen sprechen, darf auch die Enttäuschung des Jahres nicht ungenannt bleiben. Diese war in meinem Fall NIGHTWISH mit dem überambitionierten "Human :II: Nature", das mich als Nachfolger des grandiosen "Endless Forms Most Beautiful" überhaupt nicht packen konnte. Irgendwie macht es für mich den Eindruck, als hätte Mastermind Tuomas Holopainen hier etwas zu viel gewollt. Insgesamt steht die Musik für mich einfach zu sehr im Schatten des zugrundeliegenden Konzepts und lässt die großartigen Hooklines vermissen, die für mich immer die Stärke von NIGHTWISH waren. Ebenso enttäuschend ist bedingt durch die Corona-Pandemie natürlich auch die Live-Ausbeute im letzten Jahr ausgefallen und so war ich erstmals seit 18 Jahren in einem Kalenderjahr auf keinem Konzert. Neben dem bereits erwähnten BIFFY CLYRO-Stream hat aber zumindest das herrlich oldschoolige Set von BLIND GUARDIAN beim "Wacken World Wide"-Event eine Menge Spaß gemacht und konnte mich temporär über den Mangel an "echter" Livemusik hinweg trösten.
Bleibt zu guter Letzt eigentlich nur zu sagen, dass 2021 hoffentlich auch mal wieder die Möglichkeit bieten wird, Musik gemeinsam mit Gleichgesinnten zu genießen. Abseits der unsicheren Pandemie-Lage freue ich mich aber auf die anstehenden Monate, denn sowohl mit meiner eigenen Band KINGS WINTER, als auch mit weiteren Diskografie-Checks und dem Pommesgabel-Podcast stehen spannenden Projekte an, auf deren Umsetzung ich mich freue!
Rang | Band | Album |
01. | BIFFY CLYRO |
A Celebration Of Endings |
02. | BRUCE SPRINGSTEEN |
Letter To You |
03. | ROGER WATERS |
Us And Them |
04. | DEFTONES |
Ohms |
05. | MAGNUM |
The Serpent Rings |
06. | LIK |
Misanthropic Breed |
07. | DARK TRANQUILLITY |
Moment |
08. | GHOSTKID |
Ghostkid |
09. | BLACK CROWN INITIATE |
Violent Portraits Of Doomed Escape |
10. | SHARDANA |
Milli Annos |
11. | BLACK STONE CHERRY |
The Human Condition |
12. | LONG DISTANCE CALLING |
How Do We Want To Live? |
13. | FATES WARNING |
Long Day Good Night |
14. | BELTEZ |
A Grey Chill And A Whisper |
15. | DEMONS AND WIZARDS |
III |
16. | TESTAMENT |
Titans Of Creation |
17. | CIRITH UNGOL |
Forever Black |
18. | DIE ÄRZTE | Hell |
19. | HAKEN |
Virus |
20. | METALLICA |
S&M2 |
- Redakteur:
- Tobias Dahs