Perlen der Redaktion: Tobias Dahs' Highlights 2022

09.01.2023 | 15:13

Was für ein tolles Musikjahr ist denn gerade bitte zuende gegangen? Musste ich in den letzten Jahren immer auch ein paar zweifelhafte Optionen zücken, um meine Top 20 voll zu bekommen, hätte ich aus dem Jahr 2022 locker eine würdige Liste mit 40 Einträgen zusammenbauen können. Aus der Sicht eines Musikliebhabers natürlich das Schlaraffenland, doch der Geldbeutel weint angesichts des riesigen Einkaufszettels schon leise vor sich hin...

Ohne viel weiteres Vorgeplänkel kommen wir nun aber direkt zu den besten Alben des Jahres. Selten fiel mir dabei die Wahl des Siegers so leicht wie dieses Mal, denn eigentlich stand schon zwei Wochen nach Veröffentlichung fest, dass "Days Of The Lost" der schwedischen Supergroup THE HALO EFFECT ungefährdet das Rennen machen würde. Falls ihr regelmäßig unserem Podcast gelauscht habt, dürftet ihr auch schon gemerkt haben, dass die Tracks der Scheibe ständig meinen aktuellen Lieblingssong stellten und ich immer wieder Möglichkeiten gefunden habe, diese wahnsinnig großartige Platte zu loben. Ich jedenfalls hätte nicht erwartet, dass der Zusammenschluss der ehemaligen IN FLAMES-Mitglieder meine Liebe zum Melodic Death Metal entflammen und nicht nur dafür sorgen könnte, dass ich "Days Of The Lost" in Dauerschleife gehört habe, sondern auch die Klassiker des Genres wieder viel regelmäßiger aus dem Schrank geholt habe. Wenn das kein Ritterschlag für ein Album ist, was dann?

Der zweite Rang für KORNs überraschend frisches Langeisen "Requiem" stand ebenfalls lange fest, denn ich habe kein Album so oft gehört wie diesen Silberling - zum Teil natürlich auch, weil die Scheibe sieben Monate vor "Days Of The Lost" erschienen ist. Andererseits kratzte der Überhit 'Let The Dark Do The Rest' auch lange am "Song des Jahres"-Titel, muss sich am Ende aber doch dem THE HALO EFFECT-Titelsong geschlagen geben. Nichtsdestotrotz ist das Album einfach ein mächtiger Nu-Metal-Brocken, den man gehört haben muss. Gleiches gilt für das IGNITE-Comeback mit dem selbstbetitelten Langdreher. Ich war wirklich unsicher, ob die Band ohne Zoli Téglás und seine einzigartige Stimme eine Zukunft haben könnte, doch Eli Santana macht einen herausragenden Job als Ersatz am Mikrofon und die Hitdichte auf dem Silberling ist fast schon unverschämt, weshalb die Bronzemedaille ohne Zweifel vergeben werden musste. Wo wir gerade von Unverschämtheit reden, selbige ist es eigentlich auch, dass BLIND GUARDIAN mit einem so starken und wunderbar oldschooligen Album wie "The God Machine" bei mir nicht einmal auf dem Treppchen landen konnte. Es war am Ende denkbar knapp, doch die stärkste Scheibe der Krefelder seit "At The Edge Of Time" landet am Ende "nur" auf dem vierten Rang und damit direkt vor dem britischen Prog-Titan THRESHOLD, der auch anno 2022 einfach kein schlechtes Album veröffentlichen kann und mit "Dividing Lines" kurz vor Jahresschluss noch ein mächtiges Prog-Pfund abgeliefert hat.

Ähnliches gilt auch für das Comeback der schwedischen Rotz-Rocker THE HELLACOPTERS, denn in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht erhoffen können, dass "Eyes Of Oblivion" so zwingend ausfallen würde, wie es das am Ende tat. Auf Rang 7 folgt danach die für mich größte Überraschung des Jahres, denn SAOR sagte mir vor dem Release von "Origins" noch überhaupt nichts. Doch dank einem wunderbar melodisch-folkigen Black-Death-Mix und dem absolut wahnsinnig schönen Titeltrack hat sich das schottische Mastermind Andy Marshall mit seinem Projekt einen festen Platz in meinem Herzen erspielt. Selbiger gehört Michael Schenker und seinen diversen Bands schon seit Ewigkeiten und so dürfte es nicht überraschen, dass mich auch "Universal" seiner MICHAEL SCHENKER GROUP wieder einmal begeistern konnte. Das proggige Monument eines Albums, das auf den Namen "Ayam" hört und aus der Feder von DISILLUSION stammt, und der gewohnt melodische Brecher "Halo" der Finnen AMORPHIS runden schließlich meine Top 10 ab.

Doch auch auf den hinteren Plätzen gibt es ein paar Alben, die ich gerne gesondert erwähnen möchte. So konnte mich etwa NIGHTBEARER mit einer herrlich frischen Interpretation des schwedischen Kreissägen-Todesstahls auf "Ghosts Of A Darkness To Come" restlos überzeugen, während BEHEMOTH und EVERGREY mit ihren neuen Langdrehern gewohnt solides Material abgeliefert haben. Überraschend auch die Platzierung des Rock-Urgesteins SCORPIONS, denn ein so rundes und gut mundendes Spätwerk wie "Rock Believer" hätte ich von den Herren aus Hannover anno 2022 nicht mehr erwartet. Eine weitere Band, die sich in diesem Jahr in mein Herz spielen konnte, ist ONCE HUMAN um den ehemaligen MACHINE HEAD-Gitarrero Logan Mader und Fronterin Lauren Hart, die sich auf "Scar Weaver" flott in mein Herz gebrüllt hat. Wer auf einen Mix aus Groove, Nu und Death steht, sollte der Band definitiv eine Chance geben. Eine ebensolche hat auch mein Hardcore-Liebling FJORT verdient, der mit "Nichts" wieder einmal eine fesselnde, sperrige und unheimlich anspruchsvolle Platte abgeliefert hat, die bei mir jetzt schon die Vorfreude auf das Konzert in diesem Jahr schürt.

Doch nicht alles im Jahr 2022 war perfekt und so gab es auch ein paar kleinere und größere Enttäuschungen. Als erstes fällt mir da natürlich die Lage der Live-Industrie ein, denn abgesehen von einem einmaligen Abend, den ich mit TOOL in der Kölner Lanxess Arena verbringen durfte, wurden zahlreiche Konzerte, die ich eigentlich besuchen wollte, kurzfristig abgesagt oder ins kommende Jahr verschoben. Hoffen wir, dass sich die Situation der Veranstalter, Locations und Bands im Jahr 2023 verbessern wird. Ein Umschwung ist dringend nötig, denn sonst werden wir uns wohl in Zukunft mit überteuerten Arena-Konzerten der alten Giganten begnügen müssen, während der Nachwuchs und die kleinen Clubshows auf der Strecke bleiben. Auf Albumdistanz fällt mir spontan eigentlich nur eine wirkliche Enttäuschung ein, die auf den Namen "Deceivers" hört und beileibe kein schlechtes Album in der ARCH ENEMY-Diskografie markiert. Gemessen an meinen eigenen Erwartungen war die Scheibe dennoch ein Reinfall, denn außer dem großartigen 'The Watcher' und 'In The Eye Of The Storm' konnte sich kein Song wirklich im Gedächtnis festbeißen. Da erwarte ich von einer meiner persönlichen Lieblingsbands einfach mehr. Selbiges kann ich von SLIPKNOTs "The End, So Far" nicht behaupten, denn nach der turbulenten Entstehungsgeschichte und der mangelnden Beteiligung von Gitarrist Jim Root habe ich eine durchwachsene Scheibe erwartet und selbige bekamen wir schlussendlich auch von den Maskenmännern aus Iowa. Ein paar Glanzlichter werden sich sicher in der Playlist einnisten, aber der Rest der Scheibe ist wirklich sehr schwach. Schade!

Mit so einem eher traurigen Abschnitt soll mein persönlichen Rückblick aber natürlich nicht enden. Stattdessen möchte ich an dieser Stelle meinen Kollegen und Kolleginnen Pia, Frank, Jakob und Marcel ein großes Dankeschön aussprechen, denn mit ihnen durfte ich zahlreiche unterhaltsame und spannende Stunden verbringen, während wir für unseren Pommesgabel-Podcast aufgenommen haben. Ebenso war das Jahr auch für meine eigenen musikalischen Projekte ein erfolgreiches, in dem ich mir mit KINGS WINTER den lange gehegten Traum einer Unplugged-Scheibe unter dem Titel "Sonic Silence - The Unplugged Sessions Vol. I" erfüllen konnte. Ebenso hat mir nach meinem Ausstieg bei LIVING ABYSS die Arbeit an einem neuen, noch unbetitelten Melodic-Death-Metal-Projekt sehr viel Spaß bereitet, dessen Debüt ich hoffentlich in diesem Jahr mit der Welt werde teilen können!

In diesem Sinne hoffe ich auf und wünsche uns allen ein produktives, von Gesundheit gesegnetes und musikalisch ergiebiges Jahr 2023, in dem wir euch wieder viele spannende Platten im Podcast oder in schriftlicher Form nahebringen dürfen!

 

Rang

Band Album
01. THE HALO EFFECT Days Of The Lost
01. KORN Requiem
03. IGNITE Ignite
04. BLIND GUARDIAN The God Machine
05. THRESHOLD Dividing Lines
06. THE HELLACOPTERS Eyes Of Oblivion
07. SAOR Origins
08. MICHAEL SCHENKER GROUP Universal
09. DISILLUSION Ayam
10. AMORPHIS Halo
11. BEHEMOTH Opvs Contra Natvram
12. FJORT Nichts
13. ONCE HUMAN Scar Weaver
14. EVERGREY A Heartless Portrait
15. DESERTED FEAR Doomsday
16. SCORPIONS Rock Believer
17. NIGHTBEARER Ghosts Of A Darkness To Come
18. QUEENSRYCHE Digital Noise Alliance
19. SOILWORK Övergivenheten
20. ROMEO, MICHAEL War Of The Worlds, Pt. II

Redakteur:
Tobias Dahs

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