Das vierte Jahrzehnt: The Best. The Rest. The Rare. Teil 2
03.02.2011 | 10:30Das Jahr 2010 nutzte die POWERMETAL.de-Redaktion zur Rückbesinnung auf die vorangegangenen zehn Jahre in Musik. Zahlreiche Werke der Dekade haben wir Euch vorgestellt, Konsensalben ebenso wie die absoluten Favoriten einzelner Redakteure. Viel blieb dabei liegen, obwohl es uns kaum minder beeindruckte. Persönliche Top-Alben, die sonst fast niemand aus der Redaktion gewürdigt hat, hier noch einmal gesondert zu beleuchten, das soll dieser Nachtrag leisten. Was erwartet Euch? Grabesmäßiger Doom, ungeahnt direkte Härte aus dem Proguniversum, anglo-iberischer Hybridmetal, Drone, Post-Hardcore und Techno-Thrash, dystopischer Schwedentriprock, atmosphärischer Black Metal, Solo- und Gastauftritte von Proggern wie Ian Anderson und James LaBrie, Selbstverlegtes aus Budapest, klassischer Rock aus Mannheim, AOR aus Mittelerde, alpine Fantasiereisen, punkige Longtracks mit Popappeal, progressiver und auch sludgiger Metal aus Louisiana, bärtiger Seattlerock mit Akustik-Charme, braunschweiger Depri-Crossover, Honigbalsam für ausgelaugte Schädel, wild blubberndes Hexengebräu, belgischer Balladen- und transatlantischer Indie-Rock, britischer Synthieprog, von einer Pastorentochter dargebotene Coverversionen und weitere aus Tuva, arbeitswütige Todesblei-Skandinavier, puzzlende Schotten, experimentierfreudige Italiener, Psychedelisches, die Rückkehr des Tigerauges im Löwenfell, schöngeistiger Poprock, Aschegeborenes aus der Kryptozoologie, eine antike Göttin sowie der auf diesen Seiten nunmal unvermeidliche Steven Wilson. Kurzum, viel gute Musik, die in den Jahren 2000-2009 aus dem redaktionsinternen Konsensrahmen fiel, aber dennoch wert ist, erwähnt zu werden, sei es aufgrund stilistischer Eigenheit, sei es aufgrund massiver Qualität. Viel Spaß beim Stöbern!
[Eike Schmitz]
Der zweite Teil dieser Rückschau beschäftigt sich mit den Jahren 2005-2009. Auch hier noch einmal die Links zu den entsprechenden "hochoffiziellen" Ranglisten der Redaktion für die betreffenden Jahre.
Zum sechsten Teil: 2005
Zum siebten Teil: 2006
Zum achten Teil: 2007
Zum neunten Teil: 2008
Zum zehnten Teil: 2009
Das vierte Jahrzehnt: The Best. The Rest. The Rare. Teil 1
2005
Black Metal, der mehr als wildes Gitarrengerausche, umkippende oder maschinengewehrdurchsiebte Drumsets und keifende Stimmritzen bietet, hat zumindest eine Chance, von mir wahrgenommen zu werden. Wenn sich hinter zunächst überwältigender Schroffheit, so wie bei CODEs "Nouveau Gloaming", subtile Einflüsse aus Chanson, Postpunk, Avantgarde und Wasweißichdennschon verbergen, die für eine nach und nach tiefer und tiefer ins Hirn sickernde Atmosphäre sorgen, dann kann mich das in seltenen Fällen sogar begeistern. 2005 war es dafür an der Zeit. Redaktionskollegin Regina muss das Werk seinerzeit irgendwie übersehen haben, sonst wäre es wohl schon letztes Jahr in unseren Empfehlungen aufgetaucht.
Pepper Keenans Engagement bei DOWN brachte mich dazu, mich einmal näher mit CORROSION OF CONFORMITY zu befassen, und wie die Aktualität es so wollte, schlug ich im rechten Moment mit "In The Arms Of God" zu. Nach langer Karriere lieferte C.O.C. mit diesem Album eine Riesenportion Heavy Rock mit Südstaatenflair und jede Menge Groove ab. Heavy, rockend, rollend, mitunter psychedelisch oder auch mal doomig bis sludgig, dabei aber immer extrem eingängig, wuchtet sich der drückende Sound ins Ohr, und bleibt da auch erstmal drin: Ohrwurmgarantie.
Wenn meinereiner zu Black Metal greift, und das dann auch noch im freudig zelebrierten Wiederholungsfall, dann kann man den Tag der Erstbegegnung rot im Kalender anstreichen. Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag ich "Hexenwind" das allererste Mal hörte, erschienen ist es jedenfalls Ende 2005 und sorgte für Überraschung. Denn statt rasenden Riffs, die den Hörer ins Dickicht verstricken, und keifendem Gesang, wartete DORNENREICH nun mit einem Halbakustikalbum auf, dessen Stücke sich eher langsam ins Ohr schleichen, auf dem schmalen Grat zwischen Monotonie und Hypnose wandeln, dessen Stücke viel Raum für Atmosphäre beinhalten, geradezu naturromantisch wirken. Zentrale Aussage: Sei Fantasie! Dieser Einladung mag ich nicht widerstehen.
[Eike Schmitz]
Die mittlerweile aufgelösten THE FALL OF TROY aus Washington fristeten immer ein Dasein zwischen "jetzt hypen wir sie" und "das kann ja keiner aushalten". Post-Hardcore mit dem mittlerweile recht verbreiteten Wechsel zwischen klarem Gesang und Shouts klingt jetzt nicht so originell, aber die dazu gespielte technische, abgedrehte und oft auch einfach schwer nachvollziehbare Musik, die dem Post-Hardcore eine fett gedrucktes "Progressive" vorsetzen, macht die Band einzigartig. Auch die Nachfolger "Manipulator" und "In The Unlikely Event" sind großartig, aber "Doppelgänger" war eben das erste Werk, das ich in die Hände bekam und hat daher einen größeren Stellenwert. Der Song 'F.C.P.R.E.M.I.X' dürfte eventuell einigen bekannt sein, da er in mehreren Videogames, darunter "Guitar Hero", Verwendung fand, aber dennoch kam das Trio über einen gewissen Bekanntheitsgrad im Untergrund und dem Geheimtipp-Status nie hinaus. Da die vier Alben - es gibt noch ein Debüt, von dem aber einige Songs auf "Doppelgänger" wiederveröffentlicht worden sind - gut erhältlich sind, sollten Frickler, Postcorler und Witzbolde, die bei Songtiteln wie 'Cut These Trees And Name The Streets After Them', 'We Better Learn To Hotwire A Uterus' oder 'Mouths Like Sidewinder Missiles' das Grinsen kriegen, unbedingt reinhören.
[Frank Jaeger]
Wenn trotz einiger Liebhaber von YAT-KHA in den Reihen unserer Redaktion das Album "Re-Covers" nicht in den ausdrücklichen Redaktionsempfehlungen des Jahres 2005 auftauchten, so liegt das nicht an einem Qualitätsabfall der tuvanesischen Traditionskapelle, sondern wohl eher daran, dass das Jahr reich an weiteren musikalischen Preziosen war. Da Albert Kuvezin aus gesundheitlichen Gründen nicht dazu kam, neues YAT-KHA-Material zu schreiben, nichtsdestotrotz aber nicht stillhalten mochte, wurden kurzerhand einige persönliche Lieblingslieder neu arrangiert und mit dem markanten Kehlgesang sowie hypnotischer Steppenpercussion versehen. In Rockkreisen beliebte Klassiker wie 'When The Levee Breaks', 'In A Gada Da Vida', 'Love Will Tear Us Apart', 'Orgasmatron' und 'Black Magic Woman' wurden eingespielt, dazwischen finden sich unter anderem aber auch 'Man Machine' von KRAFTWERK und einzelne Folksongs - allesamt auf hohem Niveau vertont. Die Mischung macht's!
[Eike Schmitz]
2006
Auf diese Wuppertaler wurde ich aufmerksam, weil zwei der Musiker vorher bei der deutschen Progband THOUGHT SPHERE gespielt hatten, auf die ich immer große Stücke hielt. Doch im Gegensatz zu eben dieser Band haben FORCES AT WORK eine große Schippe Metal in ihren Sound integriert, und noch dazu im gesanglichen Bereich mit Frongbrüller Andreas Lohse eine Kehrwende gemacht, so dass ich mich erstmal verwundert umsah. Aber dann entfaltete der "Reverse Feng-Shui Audio Guide" seine Wirkung. Die abgedrehten, manchmal nur schwer nachvollziehbaren Strukturen, wilden Riffs, subtilen Melodien und unvorhergesehenen Breaks sind natürlich nur etwas für Leute, die bei WATCHTOWER oder EXTOL nicht gleich das Weite suchen, aber wer sich Techno-Thrash mit deutlichen Progelementen vorstellen kann, liegt hier richtig!
[Frank Jaeger]
Ich weiß nicht, aus welcher Versenkung die Aschaffenburger MY SLEEPING KARMA anno 2006 hervorkamen, aber plötzlich waren sie da und hatten mit dem selbstbetitelten "My Sleeping Karma" ein Debütalbum am Start, das im Umfeld von spacigem Psychedelic Rock wunderbare Musikkost bot. Als rein instrumental agierende Band lebt man dabei vor allem von den sehr gelungenen Wechseln zwischen laut und leise, zwischen ruhig und intensiv. Ihren Songs hat die Truppe trotzdem einen unverwechselbaren Charakter verliehen und das ist schon eine beachtliche Leistung, so ganz ohne das normalerweise prägende Gesangselement. Es sind vor allem dieser treibende Rhythmus und die wirkungsvollen Melodien, die einen nicht mehr loslassen und beim Hören der Musik unweigerlich einen Film im Kopf ablaufen lassen. Mit 'Intention' und '23 Enigma' starten MY SLEEPING KARMA in ganz großem Stil in die selbstbetitelte Platte und wissen den Hörer sofort zu fesseln. Es ist vor allem dieses absolut grandiose Hineinsteigern in einen Song, dieses langsame Aufbauen bis hin zu einer dynamischen Ekstase, der man sich einfach nicht entziehen kann. Das bekommt kaum eine Band ähnlich vorzüglich hin wie die Aschaffenburger und das sorgt vor allem live stets für absolutes Gänsehaut-Feeling und jede Menge offene Münder im Publikum. Hypnotisch, eingängig, toll.
[Stephan Voigtländer]
2007
Dieses Album, das vierte von BIFFY CLYRO, markiert den Durchbruch für die schottische Band, deren Stil irgendwo zwischen Alternative Rock, Indie Rock, Emoschlagseite und Post-Hardcore liegt. In den UK konnten sie Gold einheimsen und auch in Deutschland schaffte das Album den Sprung in die Charts, was ihre Gefolgschaft vervielfachte. Natürlich trug dazu auch der #13 Single-Hit 'Saturday Superhouse' in England bei. Neben diesem und dem sehr ungewöhnlichen Beginn des Albums mit 'Life Is A Problem Because Everything Dies' sticht noch das fast schon alberne 'Who's Got A Match' heraus. Dass "Puzzle" mit diesen drei Songs beginnt, zeigt wie stark die Drei auf den Kontrast und Abwechslung setzen, was im Verlauf des Albums schon fast zu einem eigenen Stilmittel wird. Trotzdem dominieren gradlinige Chöre und Melodien, die dieses vierte Werk Mainstream-tauglicher machen als die Vorgänger. So ist es keine Überraschung, dass die Verkaufszahlen mittlerweile die 300.000 überschritten haben.
[Frank Jaeger]
Ich erinnere mich an einen ungemütlichen Novemberabend des Jahres 2008. In der Leipziger Liwi spielten 4 No-Name-Bands für unschlagbare 5 Euro. Schon die ersten drei waren das geringe Eintrittsgeld mehr als wert gewesen, doch zum Schluss des Abends kam mit den CAVE SINGERS eine mir bis dato unbekannte Band, die mich mit ihrem Auftritt regelrecht geplättet hat. So gänzlich unkonventionell und doch so mitreißend war das, was die Vollbärte aus Seattle da auf die Bühne zauberten. Maßgeblich dabei die "Invitation Songs" (das Debütalbum), die man im Jahr zuvor herausgebracht hatte und die auch auf Platte nichts von der Faszination einbüßen, die sie bei jenem Konzert erstrahlen ließen. Akustischer Indie Folk Rock ist die Schublade, die hierfür zu öffnen ist, doch insbesondere die zum Teil mit flottem Rhythmus wunderbar reinlaufenden Ohrwürmer 'Dancing On Our Graves', 'Oh Christine' und 'Helen' dürften bei vielen Musikfreunden für beschwingtes Mitgehen und erquicklichen Hörgenuss sorgen. Dazwischen kann man zu ruhigerem Material wie 'Cold Eye', 'Elephant Clouds' oder 'Bricks Of Our Home' runterkommen, wobei diese balladesken Stücke mich nie in dem Maße gepackt haben wie die obigen drei Gassenhauer, die man nach dem Hören den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf bekommt und unbewusst vor sich hinpfeift. Die haben noch jeden trüben Regentag gerettet. Dafür braucht es auch überhaupt nicht viel und es zeigt sich mal wieder, dass die reduzierten, nicht überladenen Songs oftmals die besseren sind. Unverwechselbar der Sound der CAVE SINGERS mit dem markanten, leicht nasal-gepressten Gesang, der gezupften Akustikgitarre und den tock-tock-tock-Drums, in manchen Songs noch ergänzt um Mundharmonika und Waschbrett als zusätzlichen Rhythmusgeber. Die "Invitation Songs" gehören zu den musikalischen Entdeckungen des Jahres 2007 und bestätigen einmal mehr, welch großartige Klangkunst einen manchmal unverhofft ereilt, wenn man sich z.B. spontan zum Besuch eines kleinen Underground-Konzerts im Mini-Club entschließt, auf dem sich keine 50 Nasen verlieren.
Welches war der beste Song des Jahres 2007? Es gibt sicherlich einige Kandidaten, aber ganz weit nach vorne gehört auf jeden Fall 'Be The End', diese unglaublich mitreißende Nummer, mit der COME SLEEP den Auftakt zu ihrem Album "The Burden Of Ballast" bestreiten. Kraftvoller Drone-/Doom-Metal, immer wieder vermischt mit bedächtigen Momenten von beinahe zerbrechlicher Intonierung. Dazu ein rauer, leidender Gesang, der stets gut reinläuft. Wem also bei ISIS gerade das Gesangselement zu wüst und ruppig ausfällt, der dürfte bei COME SLEEP goldrichtig sein. Bei konzentriertem Anhören (am besten unter Kopfhörer) offenbart "The Burden Of Ballast" zudem eine immense Vielseitigkeit. COME SLEEP treten den überzeugenden Beweis an, dass diese Art von Musik (die ja immer ein Hauch von zäher Schwerfälligkeit umschwebt) sich nicht in einschläfernder Langsamkeit ergehen muss und einprägsame Melodie- und Gesangsmelodien sich ganz wunderbar und schlüssig in den groben Sound-Koloss einweben lassen. Eine gänzlich unkonventionelle Platte (betrifft auch den ebenso klischeefrei gewählten Bandnamen und das Artwork), die den Schweden auch über die eigentlich eher starren Genregrenzen des Drone-/Post-/Downtempo-Metalls hinaus etliche Sympathisanten einbringen dürfte. Selbst wer bei ISIS, NEUROSIS oder CULT OF LUNA normalerweise erst mal auf Sicherheitsabstand geht, darf hier durchaus mal ein Ohr riskieren.
[Stephan Voigtländer]
Ein wenig verschroben klingen die Endzeitballaden des schwarzen Phoenix, aber nicht wirklich schräg, ausgewogen feierlich, nicht pathosbeladen, melancholisch aber handfest, nicht so heavy wie Doom, aber deutlich düsterer als das, was man gemeinhin unter elegischem Rock versteht, und ohnehin siedelt "A Love Of Shared Disasters" für veritablen Rock viel zu dicht an der Folktradition. Weil das Album aber auch weder klassischen Folkrock noch progressive Experimente oder handelsübliche Psychedelika bietet, sondern einen überwiegend stetigen, dadurch jedoch nicht undramatischen, weit ausladend dahinströmenden Fluss aufweist, bleibt in gängiger Terminologie nur noch das eher aussageschwache Etikett "Post-Rock" übrig. Schwermütige Longtracks für alle, die das Zuhören noch nicht verlernt haben, damit spielte sich das Projekt CRIPPLED BLACK PHOENIX mit seinem Debütalbum im Jahre 2007 gleich auf Anhieb in mein Herz.
'Light Crisis' heißt einer der schönsten Songs auf dem besten Doomalbum des Jahres 2007, das zu hören ich bislang das Vergnügen haben durfte. Krise des Lichts - so lässt sich auch die Stimmung des Gesamtwerks beschreiben, von einer leichten Krise hingegen möchte man da lieber nicht sprechen. Düster und aufschürfend wirkt das Album nämlich, schroff und rau, malmend und stickig, drückend schwer und wie qualvoll empfangen. Dennoch strahlt es eine gewisse Erhabenheit aus, eine zerklüftete, so gar nicht epische Erhabenheit, eine unruhig rumorende, unstete, bedrohte, aber nichtsdestotrotz spürbare Erhabenheit. Die Würde der Kunst ist unantastbar, egal wie zerschlissen letztere zunächst tönen mag. "Funeralium" von der gleichnamigen Band FUNERALIUM bringt diese Erkenntnis zum sich aufbäumenden und halb zerschundenen Dröhnen. Großartig!
[Eike Schmitz]
2008
Wer behauptet eigentlich, dass es im Metal immer bierernst zugeht? Den Gegenbeweis treten ACID WITCH mit ihrem 2008er Album "Witchtanic Hellucinations" an, dessen räudiges Geballer im Zusammenspiel mit den augenzwinkernden Lyrics (man nehme nur Songtitel wie 'Rabid Werewitch' oder 'Witches Tits') und dem wunderbaren, comicartigen Hexen-Alchemie-Artwork so unterhaltsam ausfällt, dass es nicht mehr nötig ist, bei ROB ZOMBIE nach unfreiwilliger Komik zu suchen. Zumal das Ganze auch unter musikalischen Gesichtspunkten sehr gefällig geraten ist. ACID WITCH sind irgendwo zwischen wildem Doom, düsterem Psychedelic und klassischem Heavy Metal anzusiedeln und schwingen dabei immer volle Kanne die Old-School-Keule. Man fühlt sich beim Hören tatsächlich direkt in die garstige, obskure Hexenküche versetzt. Dieses rabiate Geknatter, das mit angenehm rohem Gegrowle daherkommt, ist zudem mit einigen Samples versetzt (Geblubber, Gequietsche, Gegniedel und fieses Gelächter), die genau in die gewünschte Atmosphäre reinpassen und diese noch verstärken. Auch der bewusst räudige, grobschlächtige Sound passt perfekt zum Gesamtbild, dem gruseligen Ambiente ist das nur zuträglich. Und wer sich jetzt immer noch nicht sicher ist, der hört einfach mal in die Songs 'Into The Cave' und 'The Black Witch' rein, denn dort haben ACID WITCH alles reingepackt, was sie auszeichnet. Solche Nummern macht niemand besser als die Säurehexe selbst.
[Stephan Voigtländer]
Was für ein Plattenhüllenmotiv. Was für ein Titel. Was für Musik. Erdige, schöne, honigfließende Riffs in Zeitlupe. Jedes Lied eine Wabe, jede Wabenkammer ein Riff, jede zähflüssige Melodie honigsüß. Dass das alles in einen Kopf passt! Das muss ein Löwenschädel sein. Die Musiker von EARTH haben mit ihrer Veröffentlichung aus dem Jahre 2008 alles richtig gemacht. Ein Album zum Einschlafen, Aufwachen, Liegenbleiben. Sonntagsmusik. Am siebten Tag entstand in den Knochen neues Leben. Was sonst so staubig wie morsches Gebein klingt (Doom) oder in augenlosen Hohlräumen zu verhallen droht (Drone) oder schlicht und einfach im Verdorren zur Krume zerfällt (Wüstenrock), das gebiert hier neue Erhabenheit. Langsam, schleichend, wie von Geisterhand angerührt, neuen Lebensatem schöpfend. "The Bees Made Honey In The Lion's Skull" ist Musik zum bedächtigen Verweilen, Ausatmen, Lauschen, Einfühlen, Kraftaufnehmen. Gut, dass in unserer schnellebigen Zeit so etwas noch machbar ist.
Nach mehreren Jahren Stille kehrte PORTISHEAD im Jahr 2008 zurück mit dem "Third"-Album. Wo vorher noch feinsinnig orchestrierter Trip Hop das Klangbild bestimmt hatte, wurde dieses nun von neuen Konturen umrissen. Progressiver als zuvor klang das Trio jetzt, hatte sein Klangspektrum erweitert, stellte ganz ruhige Tracks neben marschierende Rhythmen, und selbst wenn der Ansatz von PORTISHEAD auch auf "Third" nach wie vor kein rockbasierter ist, so schienen sich die Künstler von der britischen Westküste in ihren Arrangements doch das ein oder andere Mal auch vom Progressivrock haben beeinflussen lassen. Es sei ihnen gedankt, denn das Ergebnis kann sich hören lassen - mit etwas weniger aufhübschendem Flausch, dafür noch mehr lauernden Untiefen.
[Eike Schmitz]
2009
"The Crystal Caravan" könnte gut und gerne das 15. Album einer seit mehreren Dekaden im Rockzirkel erfolgreichen Band sein. Aber nein, es ist das Debütalbum der Schweden, die sich praktischerweise ebenfalls THE CRYSTAL CARAVAN nennen. Und die fackeln nicht lange, es wird unbekümmert losgerockt und gerollt - wie gut, wenn man sich mal richtig austoben kann. Es orgelt und gniedelt in den Songs herum, dass es eine wahre Freude ist, aber vor allem sind es die wuchtige Intensität und spürbare Spielfreude, die einen fast um den Verstand bringen. Nur bei einer Nummer - 'Down Under' - kann man sich entspannt zurücklehnen, aber nur um diesen tollen Ohrwurm zu genießen, der mich ein bisschen an großartige Künstler wie VAN MORRISON und PROCOL HARUM erinnert. Ansonsten ist das Ganze aber eher im Fahrwasser von LED ZEPPELIN, den BLACK CROWES oder auch ROSE TATTOO zu verorten, denn "The Crystal Caravan" ist ein Album voller Power und Energie. Man kann durchaus Retro Rock dazu sagen, aber das ist ganz und gar nicht negativ besetzt. Einfach eine mitreißende Mischung aus Southern, Hard und Garage Rock haben die Schweden hier verzapft. Im Mittelpunkt stehen die ungekünstelten, energiegeladenen Songs, da tropft selbst beim heimischen Anhören der Platte quasi der Bühnenschweiß aus den Boxen. Da ist es nur naheliegend, dass sich die Band gern den Arsch abtourt, und sogar vor zehn oder zwanzig Leuten alles gibt. Da auch das zweite und momentan aktuelle Album "Against The Rising Tide" allerfeinstens ausgefallen ist, sollten die Besucherzahlen bei CRYSTAL CARAVAN-Konzerten zukünftig aber deutlich höher ausfallen.
[Stephan Voigtländer]
"Face The Light" von THE IDORU war zwar auf Platz 2 meiner 2009er Charts, aber da es kaum jemand kennt, kam es dennoch nicht in die Jahresliste. Und ich bin sicher, dass es nur daran liegt, dass die Ungarn weitgehend unbekannt sind, denn da sie im Gegensatz zu einem sehr großen Teil ihrer Landesgenossen auf Englisch singen, gäbe es im Prinzip keinen Grund, warum der sehr melodische, punkbeeinflusste Metal/Rock der Budapester nicht einem großen Teil der PM.de-Hörerschaft gefallen sollte. Ihr bislang letztes Album erschien in Eigenregie, während man vorher noch beim lokalen Platzhirschen Hammer Records unter Vertrag gewesen war. "Face The Light" enthält zehn Songs in gerade mal etwa mehr als einer halben Stunde, hier ist das "auf den Punkt kommen" Programm. Sobald man beginnt, einen Song mitzusingen, ist er vorbei und der Finger geht zur "Repeat"-Taste. Hits wie 'Violent Night', 'Let 'em Pass Away' oder 'Bury It All' sind absolute Ohrwürmer, bei denen kein Fuß ungezuckt bleibt.
[Frank Jaeger]
Eine der glücklichsten jüngeren Entdeckungen der letzten Jahre war für mich "On Evil Days" von LIQUID GRAVEYARD. Die darauf vertretenen Songs mögen keine Musik für den Allerweltsgeschmack und auch nicht die Neuerfindung des Rades sein, allemal aber handelt es sich dabei um eine interessante Mischung aus klassischem Heavy Metal, Death Metal, Progressivrockeinsprengseln, die klingen wie aus den '70ern, und einem gediegenen Groove. Von 'Rumours Are Black Like Machine Guns' bis 'Anthead Grotesque' erstreckt sich das flüssige Grab zudem über ein verhältnismäßig breites Spektrum. Auch Raquel Walkers Stimme kann bei mir punkten, sowohl im Cleangesang wie auch in den Growls; und weil ich eine derart umfassende Stilfusion auf diesem eingängigen Niveau nicht alle Tage zu hören kriege, hat mich die Scheibe dann auch nachhaltig beeindruckt. Für ein Debütalbum ist das um so beachtlicher!
[Eike Schmitz]
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer