Perlen der Redaktion: Marius Lührings Highlights 2022
25.01.2023 | 14:332022 war aufregend in fast jeder Hinsicht. Auch musikalisch regte sich so einiges.
Ja, abwechslungsreich war 2022 auf jeden Fall. Nicht nur weltpolitisch lässt sich dies allerhöchst oberflächlich ausgedrückt so festhalten. Es ging kaum ein Tag vorüber, an dem man beim Nachrichtenkonsum nicht irgendetwas zu schimpfen gefunden hätte. Privat war das zum Glück völlig anders, aber auch da ging es höchst abwechslungsreich zu, so, wie man es sich vorstellt mit einem Drei- und einer Einjährigen Zuhause. Und vielleicht auch deshalb finde ich meinen Rückblick auf das musikalische Jahr 2022 auch höchst abwechslungsreich. Viele so unterschiedliche Alben konnten mich regelrecht begeistern und lieferten sich harte Kämpfe um die geringe mir zur Verfügung stehende Hörzeit. Andere kamen so fast gar nicht zum Zuge, weil sie nicht spannend oder packend genug waren. Schöne Grüße an HAMMERFALL an dieser Stelle. Aber Moment! Wir sollten mit Positivem starten, weshalb ich euch nun, ohne weitere unnütze und gedankenlose Worte, direkt meine Top 20 vorstellen möchte.
Am Ende, also auf dem 20. Rang, startend, geht es zu den Nachbarn nach Tschechien. "Forgotten Art Of Old", das Debütalbum der Band THE BOOK aus Brünn, habe ich blind beim Raphael meines Vertrauens zwischen mehreren Rafchild-Releases erstanden. Ich wusste nur, dass es sich um Heavy Metal der sehr epischen Machart handeln soll. Ja, und das beschreibt dieses in Eigenproduktion entstandene Werk völlig ausreichend. Mit etwas mehr Finesse beim teils etwas nebenspurig fahrenden Gesang wäre unbedingt auch ein höheres Abschneiden drin gewesen.
Wie immer absolut astrein singt dagegen mein jahrezehntelanger Wegbegleiter FUNNY VAN DANNEN auf seinem neuen Dreher "Kolossale Gegenwart". Wollte ich erst nicht hier aufführen, weil es doch weit weg ist vom Namen dieser Webseite, aber andere haben hier irgendwelche Popsternchen auf den obersten Rängen. Und es wäre auch unehrlich gewesen, diese Liedersammlung hier auszulassen. Denn auch das 16. Album des Wahlberliners ist mal wieder fantastisch. Es fehlt zwar immer noch an der weltabgewandten Melancholie der ganz frühen Jahre, doch dafür wird es hier erneut schwer und philosophisch und scharf beobachtend und lustig und manchmal einfach nur richtig (hört doch mal das 'Jägerinnenlied'). Am nahsten ging mir 'Keine Verbindung zu meiner Seele', was folgerichtig auch einer der besten Songs des Jahres war.
Davor platziert sich "Overtaker" der HAMMERS OF MISFORTUNE. Warum auch immer! Eigentlich mag ich das Album gar nicht. Ich habe es oft gehört und immer noch keinen Zugang gefunden. Aber ich lege es immer wieder auf, weil es mich schlicht fasziniert. So komische Musik kommt einem nicht oft unter, das sollte zelebriert werden. Es ist chaotisch, verstörend, rhythmisch und gesanglich teilweise beinahe abstoßend. Und es ist trotzdem kein Black Metal! Großartig. Sollte ich mal wieder auflegen.
Im völligen Gegenteil dazu musiziert Mark Deeks (WINTERFYLLETH) bei seinem Soloprojekt ARÐ derart einlullend schön, dass das Debüt "Take Up My Bones" tatsächlich Platz 17 ergattern konnte. Der sehr melodische und elegische Doom Metal erinnert etwas an GRIFTEGÅRD und zieht mich bei jedem Durchlauf komplett in den Bann. Direkt danach ist dann alles wieder vergessen, deshalb wohl dieser Platz etwas weiter hinten. Trotzdem ein schönes Teil, dem gerne ein zweiter an die Seite gestellt werden darf.
"Myötätuuleen" des finnischen Duos SOTURIT habe ich erst vor Kurzem hier vorgestellt. Das sehr rote Album hat diese Liste wenige Tage vor Toresschluss noch einmal sehr durcheinander gewirbelt. Wer auf leicht progressiven und melodienreichen Metal mit viel Epik steht, auf VIRGIN STEELE mit viel, also sehr viel unaufregenderen Vocals stehen könnte und beim Genuss der finnischen Sprache keine Gehörknoten bekommt, der sollte das mal antesten. Und jetzt alle: POIKANI!
Nicht minder amüsant ist ja die niederländische Sprache. Passend, dass auf Rang 15 nun genau diese folgt! Das ALVENRAD-Drittwerk "Veluws IJzer" hat mir dieses Jahr sehr viel Freude bereitet. Nachdem ich zum "Into The Grave"-Festival und später im Sommerurlaub viele schöne Tage in den Niederlanden verbrachte, verzückte mich dieses Album im Herbst. Ne, falsch. Das verzückt doch nicht! Der immer mal wieder schwarz angemalte Folk Metal der Gelderländer ist durchaus eher für ernste Geister.
RAMMSTEIN bin ich inzwischen etwa 15 Jahre verfallen. Es wäre ein Wunder, wenn nun "Zeit" nicht in meiner Liste auftauchen würde. Es verwundert eher die schwache Platzierung auf der 14. Tja, die Freude war riesig, dem vorab ausgekoppelten Titelsong war ich von Sekunde eins völlig verfallen, folgerichtig auch mein Song des Jahres. Das Album insgesamt ist dann aber doch nicht ganz so stark geworden. Erinnert beinahe schon an "Rosenrot", das seinerseits ja eher eine "Reise, Reise"-Resteverwertung war. Nun, ganz so arg ist es dann doch nicht. Aber neben mancher Großartigkeit lauern hier auch Mittelmaß und gerade lyrisch uninspirierte Selbstkopie.
Etwas enttäuscht war ich auch vom RIOT CITY-Zweitling "Electric Elite". Klar, das was die Kanadier da machen, ist immer noch packend und toll, aber es vermochte mich nicht ganz so sehr umzublasen, wie der Vorgänger. Das mag am neuen Sänger liegen, der vielleicht etwas zu gut und sauber tönt. So wurde es dann nur Platz 13.
Völlig an mir vorbei gegangen war bisher die Musik des Ami-Trios SANHEDRIN. Dessen drittes Album "Lights On" wurde Thema in unserem fantastischen Forumspiel PMDECS (Liebe Grüße!), das dieses Jahr durchaus etwas geprägt hat und musste dann dringend her. Ganz tolles Schwermetall mit starker Ausdrucksröhre vorne dran und einem Händchen für unhymnische Hymnen.
Ja, ich weiß. In dieser Redaktion interessiert sich niemand außer mir für die Musik des Kanadiers Jo Galipeau. Ich hoffe weiterhin, dass es aber da draußen in der Leserschar doch noch Liebhaber von ICE WAR, APHRODITE oder DEVIL CROSS (usw.) gibt. Wie dem auch sei, der Typ schreibt sich die Songs am laufenden Band von der Seele und mir drauf. Auch "Beyond The Void", ICE WARs fünftes Album in sechs Jahren, bietet allerhöchste Schnellstahlqualität mit viel Spielwitz.
Etwas gediegender steigen wir in die Top 10 ein. FRETERNIA ist eine damals (1998-2002) wie heute (seit 2019) völlig übersehene Band aus dem schwedischen Borås, die damals wie heute energiereichen Melodic Metal allerhöchster Güte abliefert. Schon "The Gathering" machte 2019 alles richtig, "The Final Stand" macht genau dort weiter. Nur beim Artwork darf man nicht so genau hinsehen. Ähem...
Auf Platz neun landen die VON HERTZEN BROTHERS. Ja, von den lustigen Finnen gab es 2022 auch ein neues Album! Ja, hatte ich zwischenzeitlich auch völlig vergessen. Komisch. Lief bei Erscheinen rauf und runter und dann plötzlich gar nicht mehr. Ist mir zum Glück wieder eingefallen. Ganz tolles Teil und von einer Produktion veredelt, die allein schon einen Platz in dieser Liste gerechtfertigt hätte. Aber produziert wurden zum Glück auch Songs, die derart genial und spannend komponiert und eingespielt wurden, dass "Red Alert In The Blue Forest" auch ohne teures Equipment viel Spaß macht. Ach, wäre Progressive Rock doch nur immer so unterhaltsam.
Überleitungen kann ich: KNORKATOR ist auch unterhaltsam und irgendwie auch progressiv. Ich weiß zumindest nie, was im nächsten Moment passiert. Sei es nun beim Genuss eines neuen Albums oder während der wahnwitzigen Konzerte. "Sieg der Vernunft" ist dann auch nicht nur irgendein zehntes Studioalbum irgendeiner Kapelle, sondern auch noch geil. Irgendwo zwischen Hirnriss, Dünnschiss und Kapitalismuskritik und dabei zu jeder Sekunde amüsant und hochwertig. Das kann sonst niemand. Bitte immer weiter machen!
Platz sieben belegt eine Band, die ich ähnlich wie SANHEDRIN zuvor völligst übersehen hatte. SUMERLANDS aus Philadelphia besorgte ich mir irgendwann im Dezember und handelte es seitdem als Listenanwärter. Wie toll ist das bitte? Derart niveauvoll mitgerissen wird selten. Diese Musik macht Gefangene! Versteht ihr?
Als sehr mitreißend stellte sich auch die kroatische Band ELUSIVE GOD heraus. Das Debüt "Trapped In A Future Unknown" drehte zahlreiche Runden und wuchs und wuchs in meiner Gunst. Die namenlosen Gestalten dieses Trios spielen epischen Doom Metal mit sehr viel Charisma und Intensität. Und mit 'Where Is The Sun?' ist hier eine waschechte Doomhymne am Start, die tagelang im Kopf bleibt. Große Kunst.
Sehr überraschen konnten mich die Kanadier BOREALIS mit ihrem sechsten Album "Illusions". Ich mochte die Band vorher schon, einen derartigen Brecher hätte ich dem Vierer aus Orangeville aber nicht zugetraut. Hochmelodisch, aber völlig kitschfrei und vom Ohrwurm 'Ashes Turn To Rain' bis zum ausladenden Schlussepos 'The Phantom Silence' völlig rund und gleichbleibend stark, das ist ein echtes Ausrufezeichen.
Auf Platz vier landen die Nordiren DARKEST ERA, deren Drittwerk "Wither On The Vine" leider ziemlich untergangen ist. Erstaunlich, war die Band vor zehn Jahren doch in vieler Munde hierzulande. Die lange Pause und das neue Label sorgten wohl dafür, dass das Album etwas unterging in der Veröffentlichungsflut. An der Musik kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Die acht neuen Songs sind bärenstark (allen voran 'With Tragedy In Our Blood') und atmen genau die Energie weiter, die "Severance" 2014 verströmte. Dazu gesellt sich das beste Artwork des Jahres von Anaïs Mulgrew. Eigentlich alles richtig gemacht.
Das Treppchen eröffnet HÄLLAS aus Schweden mit dem dritten Album "Isle Of Wisdom", dessen Artwork zwar nicht so ganz gelungen ist, das aber ansonsten in jeglicher Hinsicht einfach nur strahlt. Deutlich stärker als der Vorgänger und viel reifer als das aufregende Debüt - ich liebe einfach jeden einzelnen Ton. Auch live fand ich die Band überragend, weshalb der Auftritt in diesem engen Hannoveraner Keller mein liebstes Konzert des Jahres war. Dieses Erlebnis änderte auch noch einmal meine Rezeption des Albums. Wie gigantisch ist bitte 'The Wind Carries The Word'? Hab ich tatsächlich erst verstanden, nachdem die Band extra dafür aus Schweden angereist ist und mir das Lied vorgespielt hat. Naja, jetzt liebe ich es. Danke dafür.
Was ich dagegen sofort verstanden habe, war "Earth Infernal" von SATAN. Dass das Album auf dem Treppchen landen würde, wusste ich schon bei der ersten Einnahme. Diese Gitarren sind einfach überirdisch. Sollte mal jemand fragen - Tippins/Ramsey ist das beste Saitenduo, alles klar? Aber auch sonst ist das sechste Album des Allmächtigen (ach ne, Moment...) einfach nur gigantisch. Brian Ross singt trotz der beinahe 70 Lenzen wie ein junger Gott, das Artwork ist eine umgekehrte Augenweide (also positiv jetzt) und ich bin der Meinung, diese Art von Metal kann gar nicht besser geschrieben werden, als diese Jungspunde aus Newcastle es zeigen.
Und das war nur Platz zwei? Welche lobhudelnden Worte soll ich jetzt noch für meinen Platz eins finden, das muss ja fast eine Ode werden! Ja, puh, das wird schwierig. Aber noch mehr berührt als die eben vorgestellten neunzehn Glücksbringer hat mich das Comeback meiner Lieblinge DRAGONLAND. Kaum einem Album habe ich so entgegengefiebert wie diesem hier. "The Power Of The Nightstar" hat elf Jahre auf sich warten lassen. Ich habe zwar immer daran geglaubt, dass im Drachenland das letzte Wort noch nicht gesprochen war, aber es war dann doch fast unwirklich, dieses Album tatsächlich hören zu können. Selbstredend war ich direkt verschossen in das ausladende neue Werk der Band aus Göteborg, die so wichtig war für meine frühe Metal-Sozialisation und deren Musik ich immer wieder auflege. Hier wurde ein Traum wahr - da gibt's am ersten Platz kaum etwas zu rütteln. Zumal der Nachtstern auch noch voll gut ist! Ja, das wär doof gewesen sonst...
Und damit sind wir dann auch - endlich - am Ende angelangt. Gut, erwähnen könnte ich noch, dass neben den schon genannten HÄLLAS und KNORKATOR mir JETHRO TULL live sehr imponierte, die weiteren Plätze gingen an HEIDEVOLK und HEATHEN, die auf dem "Into The Grave" ziemlich abgeräumt haben. Enttäuscht wurde ich kaum, die IRON ALLIES hätte aber mit dieser Besetzung viel besser ausfallen müssen und warum ich quer durch Leeuwarden hetzen musste, um dann bei FLOTSAM AND JETSAM eine Bauchtänzerin auf der Bühne vorzufinden, muss mir auch nochmal erklärt werden. Neue EPs, die nicht berücksichtigt wurden, gab es auch noch. Besonders gefallen haben mir dabei DARK FOREST (klar, 'Skylark' ist übrigens der zweitbeste Song des Jahres, Kniefall!) und DON'T DROP THE SWORD, sowie der CARDINALS FOLLY / PURIFICATION-Split. Gutes Jahr. Weiter so!
Rang | Band | Album |
1. | DRAGONLAND | The Power Of The Nightstar |
2. | SATAN | Earth Infernal |
3. | HÄLLAS | Isle Of Wisdom |
4. | DARKEST ERA | Wither On The Vine |
5. | BOREALIS | Illusions |
6. | ELUSIVE GOD | Trapped In A Future Unknown |
7. | SUMERLANDS | Dreamkiller |
8. | KNORKATOR | Sieg der Vernunft |
9. | VON HERTZEN BROTHERS | Red Alert In The Blue Forest |
10. | FRETERNIA | The Final Stand |
11. | ICE WAR | Beyond The Void |
12. | SANHEDRIN | Lights On |
13. | RIOT CITY | Electric Elite |
14. | RAMMSTEIN | Zeit |
15. | ALVENRAD | Veluws IJzer |
16. | SOTURIT | Myötätuuleen |
17. | ARÐ | Take Up My Bones |
18. | HAMMERS OF MISFORTUNE | Overtaker |
19. | FUNNY VAN DANNEN | Kolossale Gegenwart |
20. | THE BOOK | Forgotten Art Of Old |
- Redakteur:
- Marius Luehring